Interview mit Irina Goruppi
Irina Goruppi, geb. 1996, Tochter von Roberto Goruppi und Enkelin von Riccardo Goruppi, wohnt in Villa Opicina bei Triest und studiert derzeit Malerei in Ljubljana. In ihrem Elternhaus wurde sie schon früh mit dem Schicksal ihres Großvaters als KZ-Häftling konfrontiert. Zusammen mit ihrer älteren Schwester Alenka wurde sie häufig auf die Fahrten nach Deutschland mitgenommen, wo der Großvater die ehemaligen Stätten seiner Inhaftierung besuchte. Auch bei zahlreichen Interviews war sie dabei und lernte so die Geschichte des Großvaters kennen. Ihr Anliegen ist es, dass das Geschehene nicht vergessen werden darf. Das Interview fand mithilfe einer Übersetzerin im August 2019 im Elternhaus in Opicina statt.
Irina erinnert sich daran, dass sie schon als kleines Mädchen mit der ganzen Familie nach Deutschland gefahren war, zuletzt 2014. Meist waren es Gedenktage und Gedenkzeremonien in Dachau und Leonberg, an denen sie teilnahmen. Aber ebenso regelmäßig waren sie auch bei Gedenkveranstaltungen für die slowenische Minderheit, für die Familie sehr wichtige Termine. „Wir haben jedes Mal dieselbe Tour gemacht, zu allen Lagern, in denen Opa war, und auch zu solchen, wo er nicht war. Man kann es sich nicht wirklich vorstellen, dass diese ganze Sache tatsächlich passiert ist Aber dann sagst du dir: es ist nicht nur das Bild dieser Baracke hier, es gab dieses System der Vernichtung wirklich, und es gab all diese Menschen wirklich. Das hat eine andere Wirkung, als wenn du ein Konzentrationslager mit der Schule besuchst. Es ist immerhin er, der dir das erzählt, der dir sagt, wo er war und was er war. Und wenn er in der ersten Person spricht und von seinem Vater erzählt, der in Leonberg starb, dann berührt dich das schon. Und mich als emotionalen Menschen besonders.“ Sie werde da immer demütig und traurig, ergänzt sie, empfinde Mitgefühl aber auch eine Menge Respekt. „Man vertieft sich immer mehr da rein und versucht sich vorzustellen, wovon er wirklich spricht.“
In ihrer Erinnerung sprachen die Großeltern nie über die Vergangenheit, wenn sie sich trafen, und wenn, dann nur über die schönen Seiten ihrer Jugend. Sie weiß daher nicht, ob sie deren Geschichte wirklich kennt. Oft aber war sie mit bei den Vorträgen ihres Großvaters und erfuhr dadurch sehr viel.
Mit den Eltern selber wurde im Alltag nicht bewusst und systematisch über dieses Thema gesprochen, sondern eher mal zufällig. Wenn man überhaupt darüber redete, dann eigentlich nur mit den Großeltern.
Auch in Irinas Schule stand das Thema mit den Deportierten auf dem Lehrplan. Ihr Großvater wurde dorthin auch eingeladen worden, um vor Schülern zu sprechen:“ Es war sehr schön, ihn in diesem Moment zu sehen, als er vor meinen Klassenkameraden sprach, wie seine Augen glänzten, weil sich die jungen Leute für seine Geschichte interessierten.“
Sie spürt, sagt sie , wenn er redet, dass ihm die Dinge weh getan hätten. Sie findet, dass man an der Art, wie er lebt und sich verhält, merkt, dass etwas passiert ist, was seine Folgen hat und was ihn geprägt hat.
Die Erlebnisse des Großvaters prägten nicht so sehr ihr eigenes Leben, aber beeinflussten doch das Verhältnis zwischen ihm und ihr. Vor allem jetzt, da er bei ihnen zuhause wohnt. Sie erlebt ihn als jemanden, der in seiner eigenen Welt lebt, allen helfen und nützlich sein will, aber auf der anderen Seite findet sie ihn sehr hart, und sie versucht immer zu verstehen, warum er so ist.
Ihre Eltern und ihre Schwester seien natürlich auch durch die Erfahrungen mit dem Großvater beeinflusst worden.
Mit Freunden oder mit Mitschülern in der Oberstufe sprach sie auch gelegentlich über dieses Thema, so z.B. wenn sie von einer der Deutschlandreisen zurückkamen oder im Rahmen ihres Abiturs, als sie als Prüfungsthema das Schicksal ihres Großvaters wählte.
Mit ein paar anderen Nachkommen hat Irina etwas Kontakt. Hin und wieder tauschen sie sich aus darüber, wie es dem Elternteil oder dem Großvater geht und ob sie es geschafft hätten, darüber zu reden. Viele würden diese Frage mit „nein“ beantworten. Sie empfindet es daher als großes Glück, dass ihr Großvater irgendwann einmal beschloss zu sprechen. Denn wenn der Mensch nicht spricht, so Irina, versteht man nie, weshalb er gewisse Sachen sagt oder auf bestimmte Art und Weise handelt und sich verhält.
Sie ist davon überzeugt, dass es neben der Geschichte der Kinder auch eine der Enkel gibt, denn „es sind immerhin wir, die wir eines Tages für den Großvater sprechen. Ich fühle mich dafür sehr verantwortlich, gleichzeitig aber habe ich das Gefühl, viel zu wenig zu wissen, um eines Tages auch darüber reden zu können.“
Diese Verantwortung, nicht Verpflichtung, treibt sie an. Für eine friedliches Zusammenleben. Sie will, dass es keinen Hass mehr gibt. Auch gegenüber Deutschland und den Deutschen nicht. Sie persönlich empfindet keinen Hass gegenüber Deutschland, auch weil sie gesehen hat, wie viele Menschen es dort gibt, die sich verpflichtet fühlen, ihrem Großvater Respekt gegenüber zu zeigen. Und Diskriminierung gebe es überall. So sei ihre Schwester von Italienern auch schon geringschätzig als „Slawin“ bezeichnet worden. „Wir müssen vorwärts schauen, nicht rückwärts“.