Interview mit Peter Švagelj
Peter Svagelj, Sohn von Radoslav (Rado) Švagelj, wohnt mit seiner Frau Erika in dem kleinen slowenischen Örtchen Komen auf dem Karst. Er ist Ingenieur und arbeitet bei der Kommune von Stanjel, einer Teilgemeinde von Komen. Bei einem Besuch dort im August 2019 sprachen wir mit ihm über seine Erfahrungen mit der Inhaftierung seines Vaters im KZ- Leonberg. Seine Aussagen haben wir hier zusammengefasst.
Gleich zu Anfang hebt Peter Švagelj hervor, dass er eigentlich nicht viel vom Schicksal seines Vaters weiß, da ihm dieser nie viel von seinen Erlebnissen während der Kriegszeit erzählte :. „Wenn man nicht spricht, kann man sich auch nicht erinnern“, versucht er sein mangelndes Wissen zu erklären. Erst sein Kontakt zu Söhnen anderer Häftlinge ermöglichte ihm mehr über das Schicksal seines Vaters zu erfahren. So lernte er auch Riccardo Goruppi kennen, der 1944 mit seinem Vater Edoardo von Triest über Dachau nach Leonberg verschleppt wurde. Da Riccardo Goruppi immer wieder in Deutschland war und sich intensiv mit seiner Lagergeschichte beschäftigte, erfuhr auch Peter Švagelj durch ihn immer mehr über die Haftzeit seines Vaters, der mit ihm nicht darüber reden wollte.
Peter Š. und sein Bruder Egidij (Edi) hatten, so die wiederholte Aussage, eine unbeschwerte Kindheit und Jugend, ohne Belastungen durch Geschichten aus dem 2. Weltkrieg. Sie erfuhren zwar in der Schule etwas über den Zweiten Weltkrieg, aber zuhause leider nichts. So wusste er lange nichts von der Lagerhaft seines Vaters in Leonberg. In der Erinnerung des Sohnes ging die erste Geschichte, die Rado Švagelj am Esstisch erzählte, über seine Zeit im Lager Dachau und dass es dort außer gekochten Kartoffelschalen nichts zu essen und sogar Fälle von Kannibalismus gegeben hatte. Das und die Befreiung waren das einzige, was sie als Kinder vom Vater erfahren hatten.
Ein Problem schien das für die Kinder nicht gewesen zu sein, denn es war ja offiziell nichts passiert und sie glaubten es eigentlich sowieso nicht.
Peter Š. spekuliert, ob der Vater vielleicht deswegen nichts erzählte, weil es entweder „nichts Besonderes“ war oder vielleicht so schlimm, dass er es lieber verschwieg, weil er glaubte, die Kinder seien noch zu jung, um die Größe und Schwere des Problems zu verstehen. Für den Vater war es ein Schock, als er das erste Mal wieder nach Deutschland, an den Ort des Geschehens kam. Er konnte es kaum fassen. Und das wollte er wohl seinen Kindern nicht sagen.
Erst als er, Peter, 18 war, interessierte er sich dann näher für die Geschichten des Vaters. Heute redet er mit seiner Familie darüber, aber für die sei es jetzt auch seltsam, da es schon so lange her ist. Auch mit seinen Enkeln hatte Rado nie darüber geredet; sie waren schließlich auch noch sehr klein damals und er, der Sohn, konnte ihnen auch nur grob etwas erzählen. Auch jetzt fragen sie nicht viel nach: „Ich glaube, wenn ich mal gestorben bin, wird die Geschichte mit mir sterben. Niemand wird es dann noch wissen. Bücher, Videos und all das ist sehr wichtig. Und wenn die Enkel dann auch älter werden, werden sie vielleicht Interesse dafür entwickeln, mehr darüber zu erfahren“. Deswegen findet er es wichtig, dass solche Geschichten auch für die Außenwelt festgehalten werden, wie z.B. von unserer Initiative.
Wenn Riccardo Goruppi, der Leidensgenosse aus dem Lager, über das Thema sprach, gab Rado Š. vor, sich er sich nicht mehr erinnern zu können. Für den Sohn stellte sich dann immer die Frage: hatte er sich wirklich nicht mehr erinnert oder es einfach verdrängt? „Ich hätte ihn mehr fragen sollen, aber wenn man jung ist, hat man halt andere Probleme.“
Sein Bruder Edi interessierte sich nicht weiter für das Thema, er selber aber bereut es, vor dem Tod seines Vaters nicht mehr nachgefragt zu haben. Es war schwierig , denn die Erlebnisse lagen damals noch nicht weit genug zurück. Deswegen fragt Peter Š. jetzt sehr häufig Riccardo G., obwohl der ihm natürlich auch nicht alle Fragen beantworten kann, da er nicht die ganze Zeit über mit seinem Vater zusammen gewesen war. Schließlich hatte jeder ja auch mit sich selbst zu tun.
Gerne würde er seine erwachsenen Kinder heute mal mit nach Leonberg nehmen und er hofft sehr, dass sie mitkommen. Es hält es für wichtig, denn in der Schule hatten sie wohl kaum etwas über den 2.Weltkrieg erfahren, auch gab es in den Schulen keine Zeitzeugenbesuche so wie in Deutschland.
Als er das erste Mal anlässlich einer Veranstaltung der Gedenkstätte nach Leonberg kam, war er ohne Erwartungen gekommen, eher wie ein Tourist. Er hatte nur Augen und Ohren aufgesperrt und zugehört, was all die Leute von überall her erzählten. Vor allem hatte er auf die Reaktion seines Vaters geachtet. Dem hätten die Worte gefehlt, was er als sehr berührend empfand. Da war ihm bewusst geworden, dass er mehr dafür tun müsse, um herauszufinden, was damals war. Sein zweiter Besuch war dann anders, wesentlich emotionaler.
Ähnliches erzählt er auch von Evgen Logar. Der Sohn von Julij Logar hatte ähnliche Erfahrungen gemacht. Auch er erfuhr zuhause nichts vom KZ-Aufenthalt seines Vaters erfahren. Julij redete zwar über alles mögliche von früher, nicht aber über die Lagerhaft. Als die beiden Söhne sich später trafen, wussten sie daher gar nicht, wie man über dieses Thema redet. Bei Roberto Goruppi allerdings war es anders. In dessen Familie wurde sehr viel über dieses Thema gesprochen, weswegen für ihn der Kontakt mit Roberto sehr wichtig ist. Zwar widersprächen dessen Aussagen teilweise denen seines Vaters Rado, aber vielleicht seien das nur Details und von daher auch egal.
Die Gespräche mit Riccardo Goruppi nimmt er jetzt mit dem Mobiltelefon auf. Aber man kann, so ist Peter Š. überzeugt, solche Gespräche nicht forcieren, sie müssen von den Zeitzeugen selber kommen.
Peter Š. hält sich im Prinzip auch für eine Art Zeitzeugen, der aber nicht wirklich viel weiß. Seiner Meinung nach muss man eigentlich Historiker sein, um Geschichte richtig zu erzählen.
Genauso wenig wie sein Vater hegt auch er selber keine Hassgefühle. Rado habe nie schlechte Gefühle gegenüber den Deutschen geäußert, da er die Ansicht vertrat, dass überall gute und schlechte Menschen gibt. Aus diesem Grund kann er persönlich nicht verstehen, dass manche Leute bis heute nachtragend sind.
Was ihm nicht gefällt, ist, wenn manche der ehemaligen Häftlinge bzw. deren Nachkommen sich bei solchen Gedenkfeiern herausheben w.z.B. die Israelis, die mit Flaggen auftauchen. Dadurch gerieten die anderen in den Hintergrund und fühlten sich zweitklassig. Alle hätten ihr Schicksal gehabt. So auch die Menschen von Komen. Der Ort, der während der deutschen Besatzung niedergebrannt und dessen Bevölkerung deportiert wurde. Ganz Komen besteht aus Nachfahren von Deportierten. „Wir sind doch alle gleich. Es gibt kein Schicksal erster und zweiter Klasse:“