Nachruf auf Albert Boerma (1922-2014)

Uns hat die Nachricht erreicht, dass am 19. Juni Albert Boerma in Heemstede/Holland im Alter von 92 Jahren verstorben ist. Wir trauern mit seiner großen Familie und sprechen seiner Frau wie seinen Kindern unsere herzliche Anteilnahme aus.
Albert Boerma ist am 3. Mai 1922 in Amsterdam geboren. Er gehörte zu den etwa 160 holländischen Gestapohäftlingen, die am 1. Juli 1944 in der sog. „Kaserne“ (heute Rutesheimerstraße 50/3) als Zwangsarbeiter eingezogen sind.
Albert Boerma war Journalist, einen Beruf, den er auch später noch ein Leben lang ausgeübt hat. Im Krieg arbeitete er für die niederländische Untergrundpresse. Er wurde „wegen deutschfeindlicher Einstellung“ verhaftet und sollte zum Arbeitseinsatz nach Deutschland verschleppt werden. Um sich dem zu entziehen, tauchte er unter und lebte mit falschen Papieren. Normalerweise bewegte er sich mit dem Fahrrad, sodass er nicht in die Kontrollen in öffentlichen Verkehrsmitteln geriet. Als er einmal ausnahmsweise mit dem Zug unterwegs war, wurde er kontrolliert. Sein Ausweis wurde als gefälscht erkannt, er wurde am 30. März 1944 von der Gestapo verhaftet und am 1. April in das Polizeigefängnis Scheveningen eingeliefert. Er kam in das Durchgangslager Amersfoort und von dort am 29. Juni mit einem Transport von 496 Häftlingen nach Augsburg. 160 von diesen wurden nach Leonberg in ein dort eingerichtetes Arbeitserziehungslager der Gestapo weiter geschickt. Die Gefangenen wurden verschiedenen Baufirmen zugeteilt. Boerma wurde der Firma Dyckerhoff & Widmann unterstellt. Ihre Hauptaufgabe war, die beiden Röhren des Engelbergautobahntunnels zu einer unterirdischen, bombensicheren Fabrik der Rüstungsfirma Messerschmitt umzubauen. Dabei waren Schwerstarbeiten zu verrichten u.a. beim Transport von Zementsäcken und Sand für Riesenmengen von Beton, die für den Bau von Zwischendecken und der Herstellung eines Verbindungsstollens zwischen den beiden Tunnelröhren erforderlich waren.
Im Oktober 1944 ging die Bewachung des Lagers Kaserne von der Gestapo auf die OT (Organisation Todt) über. In der „Kaserne“ waren sechs bis acht Häftlinge in einem Zimmer untergebracht. Ende Januar war Typhus ausgebrochen, sodass zwischen 8. Februar und 20. März 1945 eine Quarantäne über dem Gebäude verhängt wurde. Mindestens acht Häftlinge sind an den Folgen des Typhus verstorben, Mehrere wurden in ein Hilfskrankenhaus nach Esslingen verbracht.
Soweit sie nicht geflohen und bei privaten Menschen untergetaucht waren, sind die holländischen Zwangsarbeiter der „Kaserne“ am 3. April unter Bewachung auf einen Zwangsmarsch Richtung Süden getrieben worden. Am 5. April verschwanden die Bewacher. Auf diese Weise kam Albert Boerma über Dusslingen, Ofterdingen bis nach Hechingen. Am 19. April wurde er bei Tübingen von französischen Truppen befreit.
Nach Rückkehr in seine Heimat heiratete Albert Boerma Edith Wijsmuller. Dem Ehepaar wurden sieben Kinder geschenkt. 1970 starb seine erste Frau. 1979 heiratete er ein zweites Mal. Seine zweite Frau, C.M. Boerma-Stroelinga, brachte vier Kinder in die Ehe mit, sodass die Familie jetzt aus elf Kindern bestand.
Albert Boerma hat 1956 zum ersten Mal wieder Leonberg besucht und schrieb dann als Journalist in einer holländischen Zeitung einen ausführlichen Bild-Bericht über seine Erlebnisse in Leonberg. Zum zweiten Mal kam er im Juni 2008 wieder hierher, um auf Einladung der KZ-Gedenkstätte an der Einweihung der Dokumentationsstätte im alten Engelbergtunnel teilzunehmen. Fünf Jahre später konnten wir ihn ein letztes Mal begrüßen bei der Einweihung des Hauses der 1000 Namen.
Mit Albert Boerma hat uns nun der letzte der überlebenden Gestapo-Häftlinge aus der „Kaserne“, mit dem wir Kontakt aufnehmen konnten, verlassen. Wir sind tief traurig.
Eberhard Röhm


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