Nachruf auf Albert Montal

 Albert Montal (19. Mai 1929 – 5. September 2017)

 Es ist bitter für uns als KZ-Gedenkstätteninitiative, wenn wieder die Nachricht vom Tod eines Überlebenden des KZ Leonberg kommt, auch wenn diese Freunde inzwischen im hohen Alter sterben. Wir sind aber zugleich auch dankbar gestimmt, dass wir viele Jahre, ja fast zwei Jahrzehnte mit ehemaligen KZ-Häftlingen des Leonberger Lagers Kontakt halten konnten, Besuche austauschten und für eine gemeinsame Sache eintraten. Dies gilt ganz besonders für Albert Montal aus Charmes in Lothringen. Er stand für uns immer für den jüngsten Häftling im KZ Leonberg. Er war gerade 15 Jahre alt, als man ihn hierher verschleppt hatte.

Als Albert Montal im strengen Winter, am 5. Dezember 1944, in eines der gerade erst errichteten neuen Gebäude für die KZ-Häftlinge in der Seestraße zusammen mit 114 anderen Häftlingen eingewiesen wurde, gab es noch keine Fenster. Es war bitterkalt. Aber auch innerlich lagen schwere traumatische Erfahrungen hinter ihm. Die Trennung vom Elternhaus. Seine Heimatstadt Charmes war Ziel einer Racheaktion der Deutschen gewesen. Am 5. September wurde die Stadt angezündet. Auch das elterliche Haus wurde ein Raub der Flammen. 150 Männer von 15 bis 78 Jahren, wie die Deutschen sie gerade greifen konnten, wurden in deutsche Konzentrationslager verschleppt, unter ihnen auch Albert Montal und sein älterer Bruder Fernand. Dieser wird nicht mehr zurückkehren. Er stirbt auf einem der Todesmärsche nach Auflösung von Auschwitz.

In Leonberg traf Albert Montal auf einen gütigen französischen Mitgefangenen, den Lagerzahnarzt Marcel Lasseron. Fast bei jeder Führung erzählen wir diese Geschichte. „Er wurde so etwas wie ein großer Bruder für mich, er beschützte mich und rettete mir ganz bestimmt das Leben“, schreibt Albert Montal in seinen Lebenserinnerungen. Lasseron sorgte dafür, dass Albert Montal sein „Assistent“ wurde und so der kräftezehrenden Arbeit im Tunnel entkam. Die Aufgabe der beiden bestand in erster Linie darin, ein Register aller Häftlinge anzulegen und deren Goldzähne zu erfassen. Im Todesfall hatten sie diese zu ziehen und den SS-Leuten auszuhändigen.

Wie viele, so erkrankte auch Montal an Typhus. Doch er überlebt die Krankheit, nicht zuletzt dank des „großen Bruders Lasseron“. Es folgt wie für alle Leonberger KZ-Häftlinge der Todesmarsch nach Bayern, auch den übersteht er und kann heimkehren, freilich in eine völlig zerstörte Stadt. Der Krieg reißt auch Lücken in der Familie. Der Bruder kommt nicht mehr zurück. Auch der Verlobte seiner Schwester bleibt im Krieg. Nach einem Jahr stirbt die Mutter, „geschwächt vom Kummer“, wie Montal schreibt.

Trotz allem, dieser Mann baute Brücken zu uns – zusammen mit seiner Frau Geneviève. Er konnte vergessen, was war und machte sich den Blick in die Zukunft zu Eigen. Ich erinnere mich noch gut an den Tag im Oktober 2001, als zum ersten Mal eine größere Zahl an ehemaligen KZ-Häftlingen nach Leonberg eingeladen worden war. Allein fünf ehemalige Häftlinge waren aus Charmes und Senones gekommen. Als ich beim Abschied zaghaft die Frage an Albert Montal gerichtet habe, ob er sich vorstellen kann, dass wir einmal mit einer ganzen Klasse französisch sprechender Schüler nach Charmes kommen können, ist er geradezu begeistert darauf eingegangen. Im Sommer 2003 war eine Klasse von Abiturienten des Albert-Schweitzer-Gymnasiums zusammen mit vier Vertretern unserer Initiative für mehrere Tage in Charmes. Wir erlebten eine überaus herzliche Gastfreundschaft, organisiert von Albert Montal. Im Juni 2009 besuchte eine Gruppe französischer Schüler aus Charmes zusammen mit dem Ehepaar Montal und einer größeren Delegation französischer ehemaliger Deportierter Leonberg. Ein Jahr später erfolgte noch einmal der Besuch einer Klasse französisch sprechender Schülerinnen und Schüler aus Leonberg Charmes, dieses Mal aus dem Johannes-Kepler-Gymnasium. Ein solches Engagement eines einzelnen ehemaligen Häftlings konnte nicht ohne Echo bleiben. Ein Schüler des Gymnasiums Rutesheim, Marcel Murschel, hatte 2008 Albert Montal in Charmes aufgesucht, um mit ihm ein Video-Gespräch zu führen. Das Ergebnis war ein einstündiger Film als Abitursarbeit. Schließlich faszinierte das Schicksal des jüngsten KZ-Häftlings in Leonberg auch die TheaterAG des Robert-Bosch-Gymnasiums Gerlingen. Das Ergebnis: Zusammen mit ihrem Lehrer Michael Volz erarbeiteten Schüler das Theater-Stück „Überm Berg“ über das KZ Leonberg mit Albert Montal als Protagonisten und führten dieses auch in Gerlingen und Leonberg auf. Albert Montal war damit im Januar und Februar 2014 mehrmals in Gestalt eines Schülers auf der Bühne zu erleben.

Was war die Botschaft dieses wirkmächtigen Mannes, der gerade die Enkelgeneration in Bann ziehen konnte? Am Ende seiner Autobiographie schreibt Albert Montal:

Heute, am Ende meines Lebens, würde wohl niemand meine Vergangenheit erraten, denn es gibt keine sichtbaren Verwundungen. Aber auch kein Vergessen dieser Lagergeschichte, all dieser Toten, all dieser Leiden.

 Was ich aus diesem Leben in den Lagern behalten habe, das ist das Kämpfen ums Überleben, die Ausdauer im alltäglichen Kampf; es war eine grausame Erfahrung, dass der Mensch eine Bestie werden kann. Dennoch hat die große Mehrheit gekämpft, um anständig zu bleiben.

 Indem ich vor jungen Schülerinnen und Schülern von diesen Gräueln Zeugnis ablege, lade ich sie ein, gegen die Gleichgültigkeit zu widerstehen und keine Indoktrination zu akzeptieren, weil diese oft zur Diktatur führt. Das wiederum bedeutet den Verlust der Freiheit, also der Demokratie und dann kann sich die Geschichte eines Tages wiederholen.“

Wir gedenken in der Stunde des Abschieds des Freundes unserer Gedenkstätteninitiative und unserer Arbeit in Dankbarkeit. Unser Mitgefühl gilt seiner Frau Geneviève, der Tochter Valerie und den vier Enkelkindern.

 Eberhard Röhm


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