Nachruf auf Justin Sonder

Justin Sonder 18.10.1925 - 3.11.2020

Justin Sonder, dessen Vater Leo mit dem letzten Häftlingstransport im März 1945 von Flossenbürg aus nach Leonberg kam, ist am 3. November 2020 im Alter von 95 Jahren in seiner Heimatstadt Chemnitz verstorben. Vater Leo und Sohn Justin hatten beide eine lange Lager-Odyssee hinter sich, fanden sich aber nach Krieg wieder und kehrten in ihre Heimatstadt Chemnitz zurück. Justin Sonder besuchte uns 2013 anlässlich des Jugendcamps und war als Zeitzeuge auch ein viel gefragter Gesprächspartner für die Teilnehmer.

Als die KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg e.V. das Jugendcamp am Engelbergtunnel vorbereitete, waren zwei Dinge im Vordergrund: Die Skulptur von Johannes Kares als Behausung für die Namen weiterer 1000 Leonberger KZ-Häftlinge. Sie waren am 16. März 1945 vom KZ Flossenbürg nach Leonberg deportiert worden, jetzt sollten Schüler die Namen dem Vergessen entreißen und sie in Stahlplatten hämmern. Der zweite Schwerpunkt war das Camp, in dem letztlich über 300 Schüler und Azubis Zeitzeugen kennen lernen sollten – Zeitzeugen mit einem Bezug zu Leonberg und dem KZ Leonberg.

Wir hatten Kontakt zu dem Historiker Dr. Hans Brenner in Zschopau, der sich intensiv mit dem KZ Flossenbürg befasst hatte, und gaben ihm die Transport-Liste Flossenbürg - Leonberg. Er stieß auf den Namen Leo Sonder, nahm Kontakt zu dessen Sohn Justin Sonder in Chemnitz auf: „Bis gestern“, so Dr. Brenner damals am Telefon, „ wusste er nicht, wo sein Vater abgeblieben war. Ihm war nicht in Erinnerung, von seinem Vater je von Leonberg gehört zu haben“. Ergab uns die Anschrift von Justin Sonder. Und der kam dann im Mai 2013 zu uns ins Jugendcamp.

Justin Sonder war zusammen mit seinem Vater seit 1943 in Auschwitz und im Februar 1945 in Flossenbürg – dort verloren sie sich Mitte März 1945 aus den Augen. Der Vater kam nach Leonberg, von wo ihn die Nationalsozialisten bei Auflösung des Lagers weiter Richtung Bayern verschleppten. Der Sohn, damals gerademal 19 Jahre alt, blieb zunächst im KZ Flossenbürg und war dann beim Todesmarsch von mehr als 3.000 KZ-Häftlingen im April dabei - von Flossenbürg in Richtung Dachau, angetrieben von der SS. Wer nicht mehr weiter konnte, so erzählte er, wurde erschossen. Am 23. April flüchtete die SS, die Panzer der US-Army erschienen und befreiten die Männer: Justin Sonder war frei, nach vier Jahren Deportation, Zwangsarbeit, Haft und Todesangst, nach insgesamt 16 Selektionen. Wo waren seine Mutter, sein Vater, wie würde es ihnen gehen? Und überhaupt, wohin jetzt?

Im Mai 2013 erzählte uns Justin Sonder aus seinem Leben. Zunächst über seine Entscheidung: „Nichts wie heim, nach Chemnitz“. Auf dem langen Fußmarsch kam er nach Hof – und traf dort zufällig seinen Vater, wie er auf dem Weg zurück nach Chemnitz. Seine Mutter sah er nie wieder, sie war im Januar 1943 in Auschwitz ermordet worden. Er berichtete von seiner Herkunft: Justin Sonder wurde am 18. Oktober 1925 in Chemnitz geboren, wuchs dort auf. Väterlicherseits stammte die Familie seit Jahrhunderten aus Mainfranken; sein Vater war Vertreter einer fränkischen Weinhandlung und so wurde die Familie in Chemnitz ansässig, wurde sächsisch. Im 1. Weltkrieg meldete sich der Vater Leo Sonder als Kriegsfreiwilliger und erhielt das Eiserne Kreuz. Die Weimarer Republik wurde von der Familie begrüßt, der Vater trat in die SPD ein. Vor 1933 gab es in Chemnitz ein reges jüdisch-kulturelles Leben mit etwa 3500 Gemeindemitgliedern, in dem die Mutter aktiv war. Die Gemeinde war liberal. Sie wurde von den Nazis ausgelöscht.

Dann schilderte er in Stichworten, wie es weiter ging; wir haben es damals aufgezeichnet und den Schülern an die Hand gegeben, damit sie in etwa wussten, wer vor ihnen im Camp saß und ihre Fragen beantwortete.

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Am 21. 4.2017 verlieh ihm Chemnitz die Ehrenbürgerschaft. So anerkannte die Stadt sein Engagement, mit dem er als Auschwitz-Überlebender und einer der letzten Zeitzeugen an die Nazi-Barbarei erinnert. Bei insgesamt 500 Anlässen – meist Schulbesuche, aber auch Veranstaltungen von Gedenkstätten und als Zeuge bei NS-Prozessen - erzählte er von seinem Leben, ohne müde zu werden.

Am 3. November 2020 ist er zwei Wochen nach seinem 95. Geburtstag in seiner Heimatstadt Chemnitz gestorben; seine Tochter war bei ihm, er hatte keine Schmerzen. Sein Vermächtnis auch für uns, junge Menschen vor den Sprüchen von Neonazis und rechten Geschichtsdeutern („Fliegenschiss der Geschichte“) zu warnen. Dem fühlen wir uns verpflichtet.

Das erwähnte zweiwöchige Jugendcamp ist festgehalten im Film mit dem Titel  „Haus der 1000 Namen“ unter https://www.kz-gedenkstaette-leonberg.de/galerie/ 


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