Nachruf auf Piet Schultz (6. Oktober 1922 – 22. April 2014)
Uns hat die Nachricht erreicht, dass am Osterdienstag Piet Schultz mit 91 Jahren in Den Haag verstorben ist. Er folgte jetzt nach wenigen Jahren seiner Frau in den Tod. Wir nehmen Anteil am Leid der Familie, seiner Kinder und Enkelkinder.
Mit Piet Schultz haben wir einen liebenswerten guten Freund verloren, der über ein Jahrzehnt regelmäßig unsere Einladungen wahrgenommen hat, solange er die Kraft dazu hatte. Die erste Begegnung in Leonberg mit ihm und seiner Frau war durch eine Einladung der Stadt Leonberg im Februar 2000 zustande gekommen. Nach 55 Jahren wagte er es, nochmals nach Leonberg zu kommen. Ende November 1999 hatte er mir noch geschrieben: „Die Frage, ob es vernünftig ist, die Konfrontation mit Leonberg anzugehen, hat mich nach Ihrer Einladung intensiv beschäftigt. Wenn ich dennoch positiv reagiere, hoffe ich, dass Sie für diesen Hintergrund Verständnis haben werden. Es wird unvermeidlich sein, dass ich in vielerlei Hinsicht Ereignisse wieder erlebe, von denen ich glaubte, sie wären definitiv aus meinem Gedächtnis verschwunden.“
Piet Schultz gehörte zu den tausenden von Holländer, die von der deutschen Besatzungsmacht aus den verschiedensten Gründen verhaftet und nach Deutschland zum Arbeitseinsatz verschleppt wurden. Schultz war während seiner Ausbildung als höherer Polizeioffizier 1943 aus politischen Gründen entlassen worden. Er hatte sich geweigert, an der Verhaftung von Juden durch die niederländische Polizei teilzunehmen. Er musste untertauchen und wurde im Juni 1944 entdeckt und verhaftet.
Auf Piet Schultz hatte uns der Gerlinger Großbauunternehmer Richard Weidle aufmerksam gemacht, in dessen väterlichem Baubetrieb Piet Schultz seinerzeit als Zwangsarbeiter eingesetzt worden war. Er vermittelte mir auch die von Piet Schultz 1992 für seine Kinder und Enkel verfassten „Erinnerungen“ an die Leonberger Zeit. Ich ließ sie für die damals laufende Geschichtswerkstatt ins Deutsche übersetzen und wusste alsbald, welche innere Hürde der ehemalige Gestapo-Häftling beim ersten Wiedersehen mit Leonberg überspringen musste. Vom 1. Juli 1944 bis 3. April 1945, dem Tag seiner Flucht, war er eingesperrt in die sog. „Kaserne“, Rutesheimer Str. 50/3 und den Schikanen des Leonberger Polizeileutnants Hieber ausgesetzt. Als Zwangsarbeiter hatte er für verschiedene Baufirmen schwere Arbeit zu leisten beim Ausbau des Engelbergtunnels und beim Bau eines Luftschutzstollens für das Leonberger Krankenhaus unter der Altstadtmauer. Während seiner Leonberger Zeit brach Typhus unter den 150 Holländern in der „Kaserne“ aus, sodass nicht weniger als fünfzehn seiner Landsleute während der mehrere Wochen andauernden Quarantäne starben. In einem der vielen Interviews, die ich mit Piet Schultz geführt habe, erzählte er, dass sie als Gestapo-Häftlinge eines Tages gezwungen wurden, an Exekutionen innerhalb des KZ Leonberg teilzunehmen.
Leuchtend blieb ihm in Erinnerung, dass sein Zwangsarbeitgeber, der Bauunternehmer Weidle, der Vater von Richard Weidle, ihm und einem andern Holländer nach deren Flucht am 3. April bis zur Befreiung durch die Franzosen im Untergeschoss seines Hauses in Gerlingen Unterschlupf bot und so das Leben rettete.
Schon sehr früh erzählte mir Piet Schultz vom Schicksal der Familie seiner Frau, die er erst nach dem Krieg kennen gelernt hatte. Der Vater von Miekie Schultz, geb. Fischer, war zwei Jahre lang Pfarrer in einem Lager für Geiseln und musste dort u.a. einem Kollegen, der standrechtlich erschossen werden sollte, den letzten Beistand leisten. Die Mutter verbrachte ein halbes Jahr in einem KZ, weil sie Juden geholfen hatte.
Im Juli 2007 brachte der Landkreis auf Anregungen der KZ-Gedenkstätteninitiative an der ehemaligen „Kaserne“ in der Nähe des Kreiskrankenhauses eine Gedenktafel an, sodass die vielen Berufsschüler, die täglich das Gebäude passieren, an jene Ereignisse erinnert werden. Piet Schultz hielt dabei vor den anwesenden Schülern eine denkwürde Rede.
Wir danken Piet Schultz eine tiefe Freundschaft, viele wichtige Informationen, die unserer Erinnerungsarbeit zugutekommt, und vor allem auch seine stetige Bereitschaft in Leonberger Schulklassen über seine Erlebnisse zu erzählen. Wir gedenken seiner in großer Hochachtung.
Eberhard Röhm