Stationen: "Weg der Erinnerung"
In Anwesenheit von ehemaligen Häftlingen wurde im Oktober 2001 der aus sechs Informationstafeln bestehende „Weg der Erinnerung“ der Öffentlichkeit übergeben. Dieser Weg führt entlang der Seestraße an den authentischen Orten des KZ vorbei bis zum alten Engelbergtunnel. Info-Tafeln benennen die wichtigsten Fakten in mehreren Sprachen. Im Laufe der Jahre kamen noch zwei weitere Stationen dazu – Infotafel 0 am Leonberger Bahnhof und eine weitere Tafel am Golfplatzkreisel oberhalb des Tunnels.
Der „Weg der Erinnerung“ führt durch ein Wohngebiet. Von den einstigen historischen Örtlichkeiten sind im Laufe der Jahrzehnte viele verschwunden und wurden durch Neubauten der Erinnerung entzogen.
Die Stationen lauten wie folgt:
Station 0 - Bahnhof Leonberg
Bahnhof Leonberg - Güterschuppen
Der Güterschuppen am Leonberger Bahnhof steht heute noch genauso da wie vor 71 Jahren. Am 10. April 1944 entriegelten erstmals dort am Bahnsteig Wachleute der SS die Türen der ankommenden Güter- und Viehwaggons. „Raus, raus", kommandierten sie. Ausgemergelte Häftlinge taumelten aus den Waggons. Dann trieben die Wachleute 398 Männer aus 14 Nationen Europas in Reihen die Bahnhofstraße hinauf und weiter die Seestraße entlang zum Konzentrationslager. Nach diesem ersten Transport wurden bis April 1945 auf diesem Weg etwa 5000 Männer nach Leonberg deportiert.
Am Leonberger Güterbahnhof trafen die meisten Häftlingstransporte ein, soweit die KZ-Häftlinge nicht auf LKWs über die Autobahn ankamen. Die Häftlingstransporte kamen vor allem vom KZ Dachau und dessen Außenlager, aber auch von den KZ Sachsenhausen und Flossenbürg. Bis Juli 1944 war die Zahl der KZ-.Häftlinge in Leonberg auf 1000 angestiegen. Im Dezember, mit der Errichtung des „neuen Lagers“, hatte sich die Zahl verdoppelt. Der Höchststand war im Januar 1945 mit 3200 Häftlingen erreicht.
Am 1. Juli 1944 traf am Bahnhof außerdem ein Trupp von 150-200 holländischen Zwangsarbeitern ein – die angegebenen Zahlen schwanken. Sie wurden in Richtung „Kaserne“ (oberhalb der Gartenstadt-Siedlung) zum dort vorgesehenen Gestapo-Lager (in der Nähe steht heute das Kreiskrankenhaus) in Marsch gesetzt.
„Es schneite und regnete, als man uns auf dem Bahnhof in Leonberg aus dem Viehwaggon lud. Auf wackeligen Beinen marschierte ich vom Bahnhof ins Lager. Wir fragten, ob es ein Krematorium gebe. ‚Nein‘, hieß es. Wir atmeten auf.“ - Ernst Israel Bornstein
Station 1 - Alter Friedhof Seestraße
Sammelgrab für die KZ-Häftlinge auf dem städtischen Friedhof
Im äußersten hinteren Teil des Friedhofs Seestraße befindet sich ein großes Sammelgrab, in dem die meisten der in Leonberg verstorbenen KZ-Häftlinge bestattet sind. Ihre sterblichen Überreste befanden sich ursprünglich im Massengrab auf dem Blosenberg und wurden 1953 hierher umgebettet.
Erst neun Jahre später bekam das Sammelgrab in Gestalt von zwei behauenen Steinplatten eine Beschriftung, die allerdings keine konkreten Hinweise auf die hier beigsetzten KZ-Häftlinge erhielt und die Existenz des Konzentrationslagers verschleierte.
Auch die angegebene Zahl von 389 Toten stimmte nicht. Tatsächlich liegen 337 KZ-Häftlinge in diesem Grab. 52 verstorbene Häftlinge sind an anderen Orten beerdigt. 16 Tote wurden 1944 auf dem Pragfriedhof in Stuttgart eingeäschert und bestattet. 36 Tote , darunter 24 Italiener, zehn Franzosen und zwei Niederländer, wurden nach ihrer Exhumierung aus dem Massengrab auf den Waldfriedhof in München bzw. in ihre Heimat nach Frankreich und den Niederlanden überführt.
Da es auf diesem Sammelgrab keinerlei Namen der Verstorbenen gab, legten im Laufe der Jahre Angehörige eigene Gedenktäfelchen ab. Nach jahrelangen Vorarbeiten und Recherchen konnte schließlich im April 2015 eine Tafel errichtet werden, auf der die Namen aller hier bestatteten Häftlinge aufgelistet sind.
„Der Tod war immer unter uns und mähte unser Leben wie der Bauer das Gras.“ - Giuseppe Zorzin
Station 2 - Samariterstift
Samariterstift – ehemaliges „neues Lager“
Auf dem Gelände des heutigen Altenzentrums „Samariterstift“ und der links und rechts angrenzenden Wohnbebauung befand sich das sog. „neue Lager“, das ab dem Spätsommer 1944 in Form von zweistöckigen Massivbauten mit Flachdach erstellt wurde. Drei je 40 Meter lange und 10 Meter breite Unterkunftsbaracken waren bis Dezember 1944 entlang der Seestraße (damals Barwiesenweg) provisorisch fertiggestellt.
Das heutige Gebäude Seestraße 74 ist das einzige verbliebene der ehemaligen zum Altenheim umgebauten Lagerbaracken. Von außen ist es als solches nicht mehr erkennbar, aber die ursprüngliche Bausubstanz ist noch erhalten, und zwar das Untergeschoss, die Grundmauern und Teile von Erdgeschoss und erstem Stock. Auf jeder Ebene einer Baracke gab es vier Schlafräume für je etwa 40 Häftlinge.
In den Untergeschossen waren Werkstätten eingerichtet. Eine vierte Wohnbaracke, das ehemalige Haus 58, kam über das Stadium des Erdgeschossrohbaus nicht hinaus. In Gebrauch waren noch ein kleineres, einstöckiges Gebäude für die Wachmannschaften am östlichen Rand des Lagers außerhalb der Umzäunung, die Entlausungsbaracke (ehemals Haus 76) und eine Küchenbaracke (ehemals Haus 60). In der Mitte des Gebäudekomplexes befand sich der Appellplatz mit einem hohen Lichtmast.
Das neue Lager wurde Anfang Dezember 44, mitten im Winter, zum ersten Mal belegt. Anfangs lagen die Häftlinge auf dem blanken Boden und waren, nur mangelhaft geschützt, Zugwind und Kälte ausgesetzt. Hinter dem Haus 74 steht an der Stelle der ehemaligen "Entlausungsbaracke" ein Gedenkstein zur Erinnerung an die KZ-Zeit, der aus Anlass des 50-Jahr- Jubiläums der Einrichtung am 17. Juni 1998 errichtet wurde.
„Ich lag auf meinem Bett und weinte. Ich dachte: Wie grausam können Menschen doch sein, welche Erziehung haben sie genossen, um andere so zu erniedrigen. Aber in mir lebte dennoch die Hoffnung, dass ich überleben und meinen Vater und meine Mutter wieder sehen würde.“ - Ivan Gerasimenko
Station 3 - Blosenbergkirche
Blosenbergkirche
Im Jahre 1967 wurde die Blosenbergkirche auf einem Gelände in unmittelbarer Nähe zum ehemaligen KZ-Außenlager errichtet. Die evangelische Kirchengemeinde erinnert daran mit einem 1992 im Vorraum der Kirche aufgelegten Gedenkbuch, in dem die Namen, Nationalitäten, Alter und Sterbetag von 293 in Leonberg verstorbenen KZ-Häftlingen verzeichnet sind.
Damals waren nur diese 293 Toten namentlich bekannt gewesen. Seit April 2011 hängt neben dem Gedenkbuch ein Kreuz, das von Roberto Goruppi, dem Sohn des ehemaligen Häftlings Riccardo Goruppi (gest. 31.3.2021), in Gedenken an den Großvater Edoardo angefertigt wurde. Dieser war ebenfalls Häftling in Leonberg und starb hier im Februar 1945 im Alter von nur 45 Jahren.
Seine sterblichen Überreste liegen im Sammelgrab auf dem alten städtischen Friedhof in der Seestraße.
Station 4 - Seestraße/Römerstraße/Brombeerweg
Kreuzung Brombeerweg/ Seestraße/ Römerstraße – Altes Lager
Am Ende der heutigen Seestraße befand sich das „alte Lager“. Es wurde in der Anfangszeit März/April 1944 teils von Zwangsarbeitern, teils von KZ-Häftlingen errichtet. Es erstreckte sich fast bis zur heutigen Römertrasse.
Die „Lagerstraße“ verlief dem heutigen Fliederweg entlang. Das Lager bestand aus acht Holzbaracken, 10 Meter auf 30 Meter, für je etwa 300 Mann. Hinzu kamen eine Waschbaracke, Küche, ein Krankenrevier, Latrinen und ein Leichenhaus. Auf dem Appellplatz stand ein Galgen, an dem mindestens zwei Gefangene erhängt wurden.
Auch nach Errichtung des neuen Lagers wurde in den Holzbaracken der größere Teil der etwa 3000 Häftlinge auf engstem Raum gefangen gehalten, obwohl die Gesamtkapazität beider Lager nur für etwa 600-800 Personen ausgelegt war.
Sowohl das alte als auch das neue Lager waren mit Stacheldraht umzäunt und von Wachtürmen flankiert. Aber sie waren separat umzäunt, da zwischen ihnen das Haus des damaligen NSDAP Kreisleiters Albert Siller lag (heute das Gelände des Elly-Heuss-Knapp-Kindergartens, Schleiermacherstr. 43).
Vor dem im Nordosten angebrachten Eingangstor wurde ein von einer Quelle gespeister Löschwasserteich angelegt, der heute noch als Gartenteich zu sehen ist. (Haus Seestraße 117) Kurz vor der anstehenden Befreiung durch die Franzosen wurde das gesamte KZ-Lager aufgelöst und die noch verbliebenen, etwa 2.700 Häftlinge in Richtung Bayern „evakuiert“, d.h. auf den "Todesmarsch" geschickt.
Die Holzbaracken des „alten Lagers“ wurden noch vor dem Einmarsch der alliierten Truppen vom Ortspolizisten wegen der Seuchengefahr abgebrannt. Nach dem Krieg wurde es als vorübergehende Flüchtlingsunterkunft wieder aufgebaut.
„Wer krank wurde, erhielt nicht nur keine Pflege, sondern ab dem Moment, wo er nicht mehr arbeiten konnte, erhielt er auch kein Essen mehr“ - Giuseppe Zorzin
Station 5 - Tunnelvorgelände/Namenswand
Tunnelvorfläche mit Namenswand
Die KZ-Gedenkstätte besteht aus drei Elementen: aus der Dokumentationsstätte im Tunnel, davor auf der linken Seite die Namenswand mit rund 3000 Häftlingsnamen und mittig die Skulptur „Haus der 1000 Namen“. - Die Namenswand entstand als erstes Element im Jahr 2005.
Nach einem Entwurf des Bildhauers Johannes Kares wurden per Lasertechnik die zu dieser Zeit bekannten Namen von 2892 KZ-Häftlingen, 16 Gestapo-Häftlingen und Zwangsarbeitern in 15 Stahlplatten geschnitten und zu einer 25 m langen Wand zusammengesetzt. Den zu „Nummern“ degradierten Häftlingen wurden so symbolisch ihre Namen wieder gegeben.
Die Einweihung war am 8. Mai 2005 - 60 Jahre nach der Kapitulation des Dritten Reiches. - Als zweites Element wurde 2008 im übrig gebliebenen Teil der damaligen Oströhre des ersten deutschen Reichsautobahntunnel die Dokumentationsstätte eingerichtet. (Der Rest dieser Tunnelröhre sowie die Weströhre wurden mit Erdaushub verfüllt).
Die Ausstellung zeigt Fotos und Texte zum Thema KZ Leonberg sowie ein Modell der Tragfläche des. Die einstige Fabrik (das Presswerk Leonberg) umfasste beide Tunnelröhren (je 300m lang und 10m breit) sowie ein eingebautes Obergeschoss, also 12.000 qm Produktions-und Lagerfläche.
Insgesamt mussten hier wohl weit über 5000 Männer von April 1944 bis April 1945 für die Rüstungsindustrie arbeiten. - Das dritte Element in diesem Gedenk-Ensemble ist das sog. „Haus der 1000 Namen“, ein ebenfalls von Johannes Kares geschaffenes Stahl-Konstrukt, das ein abstrahiertes Trockengerüst darstellen und als Behausung für die Namen von 987 Häftlingen dienen soll, die am 16. März 1945, dem letzten Häftlingstransport, aus dem KZ-Flossenbürg hier ankamen. Die Namen wurden im Rahmen eines Jugendcamps im Mai 2013 von Jugendlichen per Hand in die Stahlplatten eingeschlagen.
Station 6 - Mahnmal Blosenberg
Gedenkort auf dem Blosenberg – ehemaliges Massengrab
Seit Dezember 1944 herrschte im Leonberger KZ eine Fleckfieber-und Typhusepidemie. Die Todesrate im Lager stieg sprunghaft an. Insgesamt sind 389 Tote nachzuweisen. Nur ein Teil davon konnte anhand einer Totenliste des Leonberger Rathauses identifiziert werden.
Überhaupt nicht gerechnet ist die dabei weitaus größere, unbekannte Zahl an Toten aus den Reihen derer, die man im Laufe der Monate in die Sterbelager Vaihingen/Enz, Bergen-Belsen und Dachau wegtransportiert oder bei Auflösung des Lagers Mitte April 1945 auf die Todesmärsche bzw. -fahrten geschickt hatte, insgesamt mehr als 3000 Häftlinge.
1946 wurde an dieser Stelle auf dem Blosenberg auf Veranlassung der französischen Militärkommadantur ein monumentales Betonkreuz errichtet. 1953 wurden die sterblichen Überreste von 373 Häftlingen in das Sammelgrab auf den städtischen Friedhof in der Seestraße umgebettet.
Einige wenige wurden in ihre Heimat nach Frankreich, Italien und in die Niederlande überführt oder auf dem italienischen Soldatenfriedhof in München bestattet. 1962 wurde außerdem dort eine Gedenkplatte niedergelegt.