Stationen: "Tunnel"
Der 300m lange Alte Engelbergtunnel wurde von 1935 – 1938 als erster deutscher Reichsautobahntunnel gebaut. Im Frühjahr 1944 wurde er zur Produktionsstätte der Firma Messerschmitt umgestaltet, wo insgesamt rund 5000 Häftlinge aus 24 Nationen dort bis April 1945 Zwangsarbeit leisten mussten. Sie stellten unter unsäglichen Arbeitsbedingungen Tragflächen der sog. „Wunderwaffe“ Me 262 her. Kurz vor Kriegsende wurden die Häftlinge auf Todesmärschen nach Oberbayern geschickt, die Maschinen wurden demontiert und die beiden Röhren gesprengt. Ab 1950 war die Weströhre wieder befahrbar, ab 1961 auch die Oströhre.
Mit dem Bau des neuen Basistunnels 1998 kam das Ende für den alten Tunnel. Beide Röhren wurden mit Erdaushub verfüllt. 30 m auf der Südseite der Weströhre konnte die KZ-Gedenkstätteninitiative 2008 als Dokumentationszentrum einrichten.
Die Stationen lauten wie folgt:
Station 0 - Übersicht
0.Übersicht Autobahn
Die Nationalsozialisten hatten die Autobahn schon früh als ein populäres Projekt erkannt: Mit der Machtergreifung übernahmen sie 1933 die gesamte Planung der Weimarer Republik. Von der NS-Propaganda „informiert“ erlebten die Deutschen sehr schnell den Autobahnbau als Beleg rasch sichtbarer Handlungsfähigkeit: Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Dazu das Versprechen vom eigenen Auto, dem Volkswagen. Das gesamte Gebilde von Arbeit und Volksgenossen, von Autobahn und Auto war eingebettet in die nationalsozialistische Gestaltung des Deutschen Reichs; bei Albert Speer, dem maßgebenden Architekt des Nationalsozialismus und ab 1942 Rüstungsminister, klang das so: „Das zentrale Element zur Strukturierung des gesamten Lebensraumes ist das Bauwerk, das sich über das ganze Reich legt, das Netz der Reichsautobahn“. Das innenpolitische, der Machtsicherung der NSDAP dienende Ziel formulierte der für den Autobahnbau zuständige Generalinspektor Fritz Todt 1937: „Die Autobahnen zeugen als monumentales Denkmal bis in alle Ewigkeit von ihres Erbauers Genialität“.
0.1 Der Tunnel
Der Engelbergtunnel war der erste deutsche Reichsautobahntunnel, Teil der Strecke Stuttgart-Heilbronn. Geplant seit 1934 und am 5.11.1938 fertiggestellt galt er als ein einmaliges Verkehrsbauwerk, das – wie die Presse stolz berichtete – den Autofahrern bei Ausfahrt aus dem Tunnel einen prachtvollen Ausblick nach Norden zum Stromberg bietet. Seine Bestimmung endete schon 1939 mit Kriegsbeginn: private Kraftfahrzeuge wurden beschlagnahmt, für die Wehrmacht war die Strecke unwichtig – der Kfz-Verkehr kam zum Erliegen. Eine Verwendung als Leonberger Luftschutzbunker kam nicht in Frage, da er zu weit von der Stadt entfernt lag. Bedeutungs- und nutzlos bis 1944.
Die Südportale auf der Leonberger Seite des Engelbergtunnels wurden am 5.November 1938 freigegeben. Ohne die übliche Parade – die Nationalsozialisten waren anderweitig beschäftigt (Münchner Abkommen, Besetzung des Sudetenlandes, Reichspogromnacht). Zahlen zum Tunnelbau:
Bauzeit (Planung bis Verkehrsfreigabe): 27.9.1934 bis 5.11.1938
Kosten: Plan 1,8 Mio RM, abgerechnet
4,04 Mio RM (1 RM ca. 4 €)
Abmessungen: 10 Meter breit, 8 1/2 Meter hoch, 300 Meter lang
0.2. Der Tunnel als Produktionsstätte für Messerschmitt
Mehr und mehr zerstörten die Alliierten die deutsche Flugzeugproduktion und die für den Krieg im Osten auf Hochtouren laufende Rüstungsindustrie. Um den Bomberflotten zu entgehen, begannen Verlagerung und Verbunkerung von Produktion und die Dezentralisation von Fertigungsketten. In der deutschen Luftfahrtindustrie begann ein Wettlauf um bombensichere Standorte, an dem sich auch Willy Messerschmitt beteiligte: er erhielt 1944 hier in der Region den Steinbruch in Vaihingen/Enz und den Engelbergtunnel. Den Tunnel wählte er für die Produktion der Tragflächen seines Düsenjägers Me 262: sie begann im Juli 1944 und endete Anfang April 1945 mit der Auflösung des KZ Leonberg.
0.3 Die Sprengung
Seit März 1945 galt Hitlers Nero-Befehl zur Zerstörung der Infrastruktur: der Feind sollte weder Straßen noch Brücken oder Tunnel nutzen können. Am 15. April 1945 - der Tunnel war geräumt, das KZ aufgelöst - sprengte die SS den Tunnel. Alle vier Röhren stürzten ein. Auf dem Nachkriegsfoto (April 1946) von der Engelbergtunnel-Nordseite ist deutlich zu sehen:
- * Die beiden eingebauten Zwischendecken in den Tunnelröhren.
- * Über dem linken Portal (Oströhre) die Einbruchstelle der Sprengung
- * Über dem rechten Portal der Belüftungsschacht
Der holländische Gestapo Häftling Hendricus Schuurmanns schrieb im August 1944: „Ich muss da einen Luftschacht ausheben … Der Boden ist hier enorm hart. Ich arbeite mit zwei Tschechen, vier Italienern, vier Russen und vier Holländern zusammen, also recht international“
Baurat Dr. Roschmann besuchte am 1.9.1945 den Tunnel und verschaffte sich einen ersten Überblick über die Schäden. Seine Skizze hält fest: alle Sprengungen in kurzem Abstand von den Portalen haben das Tunnelgewölbe durchschlagen, das überlagernde Gebirge ist eingebrochen.
Der Wiederaufbau begann noch im selben Jahr, ab 1950 war die Weströhre einspurig wieder befahrbar, bei der schwerer zerstörten Oströhre dauerte es bis 1961. Zu diesem Zeitpunkt begann man mit der Planung des dann 1998 realisierten neuen Engelberg-Basistunnels.
0.4 Der Tunnel auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte
Bis Mitte der 95er Jahre strömten und stauten sich täglich 100 000 Kraftfahrzeuge durch und in den beiden Tunnelröhren. Nachdem 1998 der alte Engelbergtunnel stillgelegt worden war, gründete sich die KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg e.V. mit dem Ziel, die Geschichte des KZ Leonberg zu erforschen und die Erinnerung daran wachzuhalten. Bereits 2001 wurde der „Weg der Erinnerung“ entlang der Seestraße eingerichtet, der an den früheren Lagerstandorten vorbei zur ehemaligen Messerschmittfabrik im Tunnel führt. Im Mai 2005 bekamen die zu Nummern reduzierten KZ-Häftlinge ihre Namen zurück: die Namenswand vor dem Südportal der Weströhre des alten Tunnels wurde eingeweiht. Im Juni 2008 folgte die Eröffnung der Dokumentationsstätte im verbliebenen restlichen Tunnelteil. Die KZ-Gedenkstätteninitiative bietet Führungen an.
0.5 Der Rundgang im Tunnel
Die Ausstellung folgt dem Prinzip „Vom Allgemeinen zum Konkreten“: „Allgemein“ meint Informationen zum Nationalsozialismus wie Rassegedanken, das Recht auf Landraub, den totalen Krieg, die Vernichtung durch Arbeit – also die Voraussetzungen für das KZ Leonberg und die KZ-Häftlinge. „Konkret“ werden die Lebens- uns Arbeitsbedingungen der aus 24 europäischen Ländern deportierten Männer hier n Leonberg gezeigt: ihre Arbeit und Unterbringung, SS-Willkür und Strafen, Hunger und Krankheit, Seuchen und Tod.
Und so ist der Rundgang geordnet:
Der Rundgang beginnt auf der linken Seite vorn:
„1. Die NS-Ziele“, dann „2. Vernichtung durch Arbeit“ gefolgt von „3. Zerstörung von oben“. Thematisch zu Kapitel 3 zugeordnet sind das Tragflächenmodell der ME 262 und die drei Wagen in der Tunnelmitte. Der erste befasst sich mit der „Fabrik im Tunnel“ und dem Leonberger KZ-Industrie-Komplex, wobei auch auf das System von Anforderung und Zuweisung von Häftlingen eingegangen wird. Der Wagen in der Mitte erklärt die Häftlingsarbeit in der Produktion der Me 262-Tragfläche gefolgt vom dritten Wagen mit Häftlingszitaten über ihre Arbeitsverhältnisse.
Von der rechten Wandseite hinten führt der Rundgang zur Herkunft der Männer „4. Aus vieler Mütter Länder“ und ihre Existenz im KZ Leonberg. Es folgt „5. Der Alltag“ der KZ-Häftlinge mit
SS-Willkür und Strafen, Hunger und Krankheit, Seuchen und Tod. Zum Schluss „6. Das Ende“ mit Informationen über Todesmärsche und Befreiung sowie die unvollkommene juristische Aufarbeitung 1948.
Zu den einzelnen Stationen gehören Stelen mit biografischen Aussagen des ehemaligen KZ-Häftlings Ary Avraham.
Station 1 - NS-Ziele
NS-Ziele
Der Landraub im Osten – Lebensraum für Deutsche
Ziel der Nazis war, in Osteuropa Lebensraum für die „arische Rasse“ zu schaffen. Dies war nur in einem Raubkrieg zu erreichen. Die Vertreibung und Vernichtung von Slawen und Juden war das Ziel von Himmlers „Generalplan Ost“ (1941).
Der Plan sah die Kolonisierung Osteuropas vor. Nach dem siegreichen Endes des Krieges gegen Polen und die Sowjetunion sollte innerhalb von 30 Jahren die deutsche „Volkstumsgrenze“ um tausend Kilometer nach Osten verschoben werden, um dort zehn Millionen germanische „Herrrenmenschen“ anzusiedeln.
Die dort lebenden slawischen und jüdischen „Untermenschen“ sollten deportiert oder ermordet werden.
Die Ermordung der Juden
Hitler und die Parteiführung planten, alle Juden als Weltfeinde zu vernichten. Auf der Skala der nationalsozialistischen Rassenideologie standen die „arischen Herrenmenschen“ ganz oben.
Juden und „Zigeuner“ galten als minderwertig und hatten kein Recht auf Leben. In der Berliner Wannseekonferenz im Januar 1942 wurde der bereits begonnene Holocaust im Detail organisiert und koordiniert.
Im KZ Leonberg gab es zwar keine Vergasungsanlage oder ein Krematorium, aber die Häftlinge, ein Drittel davon Juden, waren zur „Vernichtung durch Arbeit“ bestimmt. Arbeitsfähige junge Leute kamen teilweise direkt aus Auschwitz. Ihre Familien waren dort bereits getötet worden.
Station 2 - Vernichtung durch Arbeit
Vernichtung durch Arbeit
KZ-Häftlinge in der Rüstung
Von Anfang an wurden die Häftlinge vor allem zum Ausbau und zur Instandhaltung der Lager selbst oder in Steinbrüchen und im Torfabbau eingesetzt, später dann in eigens gegründeten SS-Wirtschaftsunternehmen.
Ab 1941 wurden sie auch an Privatfirmen vermietet, In der zweiten Kriegshälfte wurde der Arbeitseinsatz der KZ-Häftlinge zum Regelfall.Weil immer mehr Deutsche an die Ostfront abkommandiert wurden, ließ sich seit 1943 der Bedarf an Arbeitskräften in der Rüstungsproduktion nur noch mit KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern decken.
Ihre Zahl stieg sprunghaft von 200.000 auf 700.000 im Januar 1945 an. Gleichzeitig entstanden in unmittelbarer Nähe zu Betriebsstandorten rund 1.000 KZ-Außenlager wie in Leonberg.
Das System der Unterdrückung
KZ-Lager waren geprägt durch ein System doppelter Überwachung und Unterdrückung. Sowohl die SS-Wachmannschaften als auch die ihnen ergebenen Funktionshäftlinge bedienten sich einer Vielzahl an Strafen.
Soweit Häftlinge an Rüstungsbetriebe verliehen wurden, standen sie während der Arbeitszeit unter der Kontrolle von deren Mitarbeitern oder Wachdiensten. Sie waren Arbeitssklaven ohne jede Rechte und waren der Willkür der Bewacher ausgesetzt.
Station 3 - Zerstörung von oben
Zerstörung von oben
Ab 1943 hatten die Alliierten die Lufthoheit. Die Bomberschwärme von bis zu 1000 Bombern waren 200 km lang und 50 km breit, im Formationsflug legten Deutschland in Schutt und Asche: die Engländer nachts, die Amerikaner tagsüber.
Die Industrie sollte vernichtet, die Moral der Deutschen gebrochen worden. Die Bomben wurden von Boeing B-17 Bombern der USAAF (US Airforce) abgeworfen. Den deutschen Abwehrjägern erschienen Formationen von 5 km Länge, 8 km Breite und 3 km Tiefe, von Begleitjägern umschwärmt; sie konnten nur die Ränder bekämpfen, der Hauptschwarm flog ungehindert weiter und konnte dann die Bomben im Sekundentakt abwerfen.
Luftkrieg: „Big Week“
In Vorbereitung auf die Landung der Alliierten im Juni 1944 wollten die Alliierten die deutsche Luftfahrtindustrie zerstören. In der „Big Week“ genannten konzentrierten Bombardierung wurde die deutsche Flugzeugproduktion im Februar / März 1944 schwer getroffen, so auch die Messerschmitt-Werke in Regensburg und Augsburg-Haunstetten. Die im Februar 1944 zerstörten Messerschmitt-Werke in Regensburg wurden nicht wieder aufgebaut.
Angesichts der verheerenden Zerstörungen und Vernichtung ganzer Flugzeugfabriken erklärte der im März 1944 neu gegründete „Jägerstab“ die Sicherstellung der Jägerfertigung als vorrangig. Neben Verlagerung in Tunnel, Bunker, Wälder und sonstige unterirdische Verstecke sowie durch Dezentralisierung war der von der SS organisierte Einsatz von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen von zunehmender Bedeutung: denn im „totalen Krieg“ wurden die Fabriken leer, die deutschen Arbeiter kamen als Soldaten zum größten Teil an die Ostfront, ihre Arbeitskraft musste ersetzt werden.
So gab es z.B. in der Nähe vom Flugplatz Leipheim, im Scheppacher Forst zwichen Zusmarshausen und Burgau ein Waldwerk mit der Produktion der Me 262, verknüpft mit dem KZ Burgau. Noch im Februar 1945 wurde dort ein Männerlager und am 3. März ein Frauenlager errichtet. Die über 1.000 Häftlinge, darunter 500 jüdische Frauen aus Polen und Ungarn, kamen aus den KZ, Bergen-Belsen und Ravensbrück.
Gegen die alliierte Lufthoheit: Der Düsenjäger Me 262
Angesichts der Unterlegenheit von Luftwaffe und Flakabwehr sollte ein völlig neues Flugzeug die Wende bringen, das Jagdflugzeug Me 262 - eine von Hitlers „Wunderwaffen“. In dezentralen bombensicheren Werken wurden die Segmente und Teile meist von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen produziert. An versteckten Endmontageorten zusammengebaut und eingeflogen sollte die Me 262 die Bomberströme abwehren und die Rüstungsproduktion sichern.
Dieser erste in Großserie gebaute Düsenjäger flog über 11 Kilometer hoch, so hoch wie die Bomber der Alliierten. Mit 900 Km pro Stunde war sie doppelt so schnell wie die Bomber und deutlich schneller als die Begleitjäger der Bomberflotten. Ihre Reichweite betrug 1000 Kilometer.
Wegen des Mangels an hochlegiertem warmfestem Stahl wurde das Strahltriebwerk aus Materialien geringerer Lebensdauer gefertigt: die „Blechturbine“ musste bereits nach 25 Betriebsstunden getauscht und instandgesetzt werden. Wunschdenken: während allein die USAAF (US Airforce) 80.000 Flugzeuge, darunter 13.000 Bomber, in die Luft brachte, wurden von der Me 262 bis Kriegsende nur 1433 von den in die Fabriken gepressten KZ-Häftlingen gefertigt – von den Jägern kamen wegen Sprit- und Pilotenmangel nur wenige zum Einsatz. Das Flugzeug fand seine Opfer also nicht im Luftkrieg, sondern in den getarnten Fabriken massenhaft unter den zu Zwangsarbeit gepressten Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen.
Die weitgehend schutzlose Zivilbevölkerung in den Städten wurde evakuiert, die Jugendlichen kamen zur Kinder-Landverschickung. Hunderttausende verbrannten im Phosphorfeuer der Bomben, wurden in den zusammenbrechenden Ruinen erschlagen oder erstickten in Kellern – aber bis zum Schluss hingen die Deutschen an ihrem „Führer“ und glaubten an den „Endsieg“, zu dem die „Wunderwaffe“ Me 262 beitragen sollte.
Die Fabrik im Tunnel
Voraussetzung für das KZ Leonberg und die Messerschmitt-Fabrik: der bombensicherer Tunnel
Im Zuge des Jägerstab-Projekts „Verlagerung und Verbunkerung“ wurde ab März 1944 der bombensichere Engelbergtunnel für den Messerschmitt-Konzern zu einer zweistöckigen Fabrik ausgebaut, mit 12.000 qm Produktions- und Lagerfläche. Gleichzeitig errichtete die SS an der Seestraße das KZ Leonberg. Ende April 1944 kamen die ersten Häftlinge, um den Barackenbau und die Einrichtung der Maschinen zu vollenden – und die Produktion provisorisch zu beginnen; viele hatten vor der Bombardierung Augsburgs im Außenlager Haunstetten des KZ Dachau für Messerschmitt gearbeitet hatten.
Aufbau und Betrieb waren von Beginn an hektisch und fehlerhaft. Die Fertigung begann, ohne dass der Ausbau des Tunnels zur Fabrik auch nur annähernd abgeschlossen war. Der Tunnel besaß als Verkehrsbauwerk keine Anschlüsse an öffentliche Versorgungsleitungen, die für eine so große Fabrik ausreichten. Für die Energieversorgung mussten eine Hochspannungsleitung und eine Umspannstation errichtet werden. Für die Wasserversorgung wurden fünf Grundwasserbrunnen im Glemstal gefasst und eine drei Kilometer lange Wasserleitung entlang der Autobahn gebaut. Und im Tunnel musste die getaktete Fertigung zum Laufen gebracht werden. Ab Juli 1944 konnte dann der Betriebsablauf als gesichert gelten. Claude Brignon, ein Kurier der Resistance, wurde im November 1944 ins KZ Leonberg deportiert. Er erinnerte sich an das Bauwerk: „Wie ich das erste Mal hier in den Tunnel kam, war ich sehr über die Aktivitäten hier überrascht. Es war eine echte Fabrik und es sah sehr beeindruckend aus. Nach Leonberg kam ich mit dem Transport vom 9.11.1944. Ich war so krank, dass ich nicht einmal mehr Hunger spürte. Ich habe Blut gespuckt, es war kalt, ich habe gefroren. Ich wollte nicht sterben“.
Presswerk Leonberg
Die Fabrik firmierte als Zweigwerk der Messerschmitt AG unter dem Namen „Presswerk Leonberg“. Eine Tragfläche ist ein großes und komplexes Konstruktionsteil. Die Alu-Außenhaut ist mir einer Vielzahl Rippen vernietet, unter den Blechen stecken elektrische, hydraulische und Pressluft-Leitungen sowie mechanische Einrichtungen zur Betätigung der Klappen und Vorflügel. Und so gliederte sich die Fabrik in drei Arbeitsbereiche: Blechteilherstellung (Pressen, Ziehen, Stanzen), spanabhebende Bearbeitung (Drehen, Fräsen, Sägen) und Großteilbau mit der Fertigstellung von Holmen, Endkästen, Flügelklappen. Die Teile wurden dann zu vier unterschiedlich großen Tragflächen-Kästen und mit dem Hauptholm zur fertigen Tragfläche montiert.
Eine Übersicht über die Fertigungsbeschreibung der Me-262-Tragfläche ist bei Airbus Corporate Heritage überliefert. Alexander Kartschall, Autor des Buches „Messerschmitt Me 262 – Geheime Produktionsstätten“, fasst zusammen: Die Hauptteile bestanden aus 38 Baugruppen, die wiederum aus 1956 Einzelteilen, 5510 Bohrungen und 22240 Nieten bestehe. In den Einzelteilen enthalten sind 794 Alublechteile, und 557 Stahlblechteile, 114 Pressteile aus Stahl und Aluminium, 217 Schweißteile und132 Fräs- und Drehteile. Dazu kommen 46 Rohrleitungen. Zur Herstellung gab es 2162 Fertigungsmittel wie Schablonen, Lehren und Vorrichtungen. Für die Montage zu den Baugruppen und der Flügel-Endmontage gehörten vier Fließbänder, 294 Bauvorrichtungen und 39 Nietvorrichtungen.
KZ-Häftlinge als Arbeiter für Messerschmitt
Für all diese Arbeiten brauchte Messerschmitt Arbeitskräfte, denn der eigene Facharbeiterstamm war längst ausgedünnt und die Männer in der Wehrmacht. Im Jägerstab war der General der Waffen-SS, Ewald Pohl als Leiter des SS- Wirtschafts-Verwaltungshauptamts (SS-WVHA) in Oranienburg / Berlin zuständig für die Bereitstellung der Arbeitskräfte: allerdings hatte der Vormarsch der Roten Armee der Verschleppung von Menschen aus Osteuropa ein Ende gemacht. Jetzt durchkämmte die SS die Konzentrationslager. Und so erklärt sich, dass die von Messerschmitt angeforderten und vom SS-WVHA „gelieferten“ Arbeiter meist schon eine lange KZ-Odyssee hinter sich hatten, ausgemergelt und geschwächt waren. Die Abwicklung war dieselbe wie beim Ausleihen von Gebrauchsgegenständen: Bestellung. So fordert auf einem Formular die Messerschmitt AG am 15.9.1944 beim SS-WVHA für das Presswerk Leonberg 470 Facharbeiter an, sowie 1550 Hilfsarbeiter und „Anlernlinge“. Die deutschen Facharbeiter waren kaum ersetzbar: die meisten KZ-Häftlinge hatten keine technischen Vorkenntnisse. Der Arbeitsprozess war jedoch in so „kleine“ Schritte zerlegt, dass unter Anleitung das High-Tech-Produkt auch von ungelernten Arbeitern hergestellt werden konnte.
Ausbruch der Seuchen
Der Bau von Abwasserleitungen und Kanalisation war sträflich vernachlässigt worden. Solange Presswerk und KZ-Lager bestanden, geschah praktisch nichts, um die katastrophalen sanitären Verhältnisse zu verbessern. Aber das war ja geplant: Zwar waren die Baracken zur Unterbringung der KZ-Häftlinge rasch aufgestellt, aber dazugehörige Bauten wie Toiletten, Waschgelegenheiten, Entlausungsstation wurden erst später oder gar nicht erstellt. Schon in der Vorplanung hatte Willy Messerschmitt in einer Denkschrift an den Jägerstab geschrieben: „Bei der Planung der Einrichtung muss darauf geachtet werden, dass … Nebenanlagen wie Toiletten erst nach Inbetriebnahme … ergänzt werden“.
Im Dezember brachen die Seuchen aus: Fleckfieber durch Übertagung der Kleiderlaus, die den Männern am ganzen Körper Blut aussaugten und in die Wunden ihre Eier ablegten; und Ruhr, eine schwere, ansteckende Durchfallerkrankung hervorgerufen durch bakterielle Verunreinigung von Wasser und Lebensmitteln. Der Landesgewerbearzt schrieb daher am 22.11.1944 an das Presswerk Leonberg z.Kt. Messerschmitt Augsburg:
... „5.Die Aborte im Tunnel sind immer noch nicht fertig und benützbar, dabei läuft das Werk schon 3/4 Jahr.
6.Ganz und gar unhaltbar sind die Verhältnisse in den KZ-Aborten in- und außerhalb des Tunnels. Bis zu den Knöcheln watet man im Kot und in breiter Flüche ergießt sich das Urin-Kotgemisch über den Hang. Rings um die Abortstelle ist die Luft verpestet. Bei diesen Zuständen halten wir eine Epidemie, die die ganze Fabrikation in Frage stellen kann, nicht für ausgeschlossen....“
Die Sterberate im KZ Leonberg stieg auf bis zu 50 Männer pro Woche, die Leichen wurden am benachbarten Blosenberg verscharrt.
Die Latrinen wurden von Zeit zu Zeit ausgespült, das war das vom Landesgewebearzt vorgefundene Urin-Kotgemisch. Es lief in einem offenen Kanal die ganze Seestraße hinab, bevor es dann in die Straßenkanalisation floss und unterirdisch zur Glems weitergeleitet wurde. Die Exkremente verseuchter Menschen, mit Fleckfieber und Durchfallerkrankungen Die Seuchen begleiteten die Männer 24 Stunden am Tag, im Lager und bei der Arbeit. Der ehemalige Häftling Alojz Kunst erinnerte sich an die Zustände in der Fabrik: „Desinfiziert wurde erst, als die Läuse über die Tragflächen liefen.“. Solange sie noch gehen konnten, meldeten sich die Häftlinge nie krank: sie wussten, wer krank war, wurde ausgesondert und war verloren.
Die Arbeit im Tunnel
3b.0 Schichtbetrieb: 7-Tage-Woche, 12 Stunden am Tag
Pro Schicht arbeiteten ab 6.00 Uhr früh 1.200 bis 1.500 KZ-Häftlinge bis Schichtende um 18.00 Uhr; die zweite Schicht dann von 18.00 Uhr bis 6.00 Uhr früh. Schichtwechsel bedeutete Appell, die Zahl der Häftlinge wurde durch Aufruf der Nummer kontrolliert. An- und Abmarsch erfolgte unter SS-Bewachung, die dann die Häftlinge an den Messerschmitt-Werksschutz übergab. Alle vier Eingänge der beiden Röhren waren gegen Tieffliegerangriffe geschützt. Der Tunnel konnte nur einzeln betreten bzw. verlassen werden. Es genügten daher nur wenige Bewacher, die die Eingänge kotrollierten. Eine Flucht aus Tunnel war nicht möglich
Arbeit im Takt
Der Fertigungsprozess war nicht neu, sondern in verschiedene Abwandlungen auch in anderen Messerschmitt-Werken üblich. In Leonberg erfolgte die Montage des Flügels in 45 Arbeitsschritten, in Ovalförderern, einer Art Fließband. Beim Ovalförderer fuhren Montagewagen auf Schienen im Kreis, die Arbeiter standen und arbeiteten auf erhöhten Podesten. Die Durchlaufzeit eines Flügels betrug 61 Stunden.
Die Arbeit war hart für die durch Hunger und Krankheit geschwächten, verlausten Männer. Der Takt gab die Geschwindigkeit vor, Vorarbeiter und Kapos trieben die Häftlinge an: Gebrüll, Schläge, Strafen, Willkür. Die KZ-Häftlinge hatten keinen Überblick über den Produktionsprozess oder wo sie eigentlich arbeiteten; sie hatte ihren festen Platz im getakteten Prozess, sei es unten oder im Obergeschoss, vorne im Tunnel oder weiter hinten, in der West- oder Ost-Röhre. Erinnerungen haben sie deshalb nur an konkrete Arbeitssituationen.
Dr. Arthur Fisch erinnerte sich 1977: „Das waren dort Leute, die die Arbeit geführt haben, diese Flugzeugfabrik. Ich hab keine gute Erinnerung an die Leute, die waren brutal. Haben gewünscht, dass wir Leistung erbringen, wozu wir keine Kraft hatten… Zum Beispiel, ich musste in irgendein Flugzeugteil mit einem elektrischen Bohrer Löcher bohren, damit man das vernieten konnte. Ich hab die Arbeit nicht verstanden … Ich hab einen elektrischen Bohrer nie in der Hand gehabt, ich konnte das nicht machen. Ich hab ein paar Löcher gebohrt und dann ist er gekommen und hat sich das angeguckt und hat mir so eine Ohrfeige gegeben… Wir standen auf so einem Arbeitspult in ungefähr ein Meter Höhe, damit wir die Teile erreichen konnten, … dass ich von diesem Pult runtergefallen bin, zum Beispiel. Gebrüll und Erniedrigung waren täglich.“ Arthur Fisch aus Humenné/Slowakei geb. am 25.4.1924, hatte bereits vier Konzentrationslager hinter sich, darunter Auschwitz, als er am 16.3.1945 vom KZ Flossenbürg nach Leonberg kam – er war der letzte Transport, der das überfüllte und verseuchte KZ erreichte. Er überlebte die Todesmärsche im April. Bei seiner Rückkehr nach Humenné musste er feststellen, dass alle Familienmitglieder bis auf seine Großmutter ermordet worden waren. Beim Prager Frühling floh er nach Deutschland und praktizierte als Arzt in Bremen bis zu seinem Tod 2003
Mit 22240 Nieten pro Tragfläche waren die Nietprozesse ein wesentlicher Bestandteil der Häftlingsarbeit, geprägt von 12 Stunden Lärm der Niethämmer, dazu der Aluminiumstaub. Der Norweger Kåre Kverneland (* 4.7. 1919, t August 2008) kam im Herbst 1944 vom KZ Natzweiler nach Leonberg; er konnte mit Hilfe des Schwedischen Roten Kreuzes im März 1945 gerettet werden und kam als freier Mann im April nach Norwegen zurück. An seine Arbeit erinnert er sich:
„Die Rippen der Flügelsegmente lagerten auf einer Vorrichtung. Auf den Rippen wurden die Alubleche mit Schraubzwingen festgemacht. Dann mussten alle Löcher für Nieten von der Rückseite aus durch die ausgestanzten Löcher in der Rippe gebohrt, anschließend vernietet werden. Das waren schon mehrere tausend Löcher und Nieten pro Schicht. Von Zeit zu Zeit wurde mit einem Schlauch geblasen, und aller Aluminium-Staub der sich abgelagert hatte, wurde so sehr aufgewirbelt, dass man kaum atmen konnte.“ Kare Kverneland und sein Sohn Dag besuchten im Mai 2001 das KZ Leonberg und das KZ Natzweiler, ein schwerer Gang. Kare Kverneland sagte lakonisch: „Ich lebe noch und die Dreckskerle sind tot!“.
Albert Montal war 15, der jüngste Leonberger Häftling. Bei einer Strafaktion gegen Mitglieder der Resistance und der Rückeroberung seines Heimatstädtchens Charmes (Lothringen) an der Mosel trieb die Wehrmacht die Einwohner seiner Heimatstadt zusammen: sie wählte 160 Männer willkürlich aus und deportierte sie am 5.0.1944 nach Dachau. Am 5.12. traf Albert Montal in Leonberg ein und arbeitete zunächst im Tunnel, bis er – zu jung und schwach für die Arbeit dort – als Zahnarzthelfer das KZ überlebte. An seine Arbeit im Tunnel mit Sprengnieten erinnerte er sich so: „Die Nieten hatten unterschiedliche Farben, je nachdem, was sie an Schießpulver drin hatten. Beim Zusammenbau der Flügel waren die Bleche zunächst noch offen, man konnte also mit dem Niethammer arbeiten. Waren die zwei Bleche zu, also Ober- und Unterseite montiert, kam man nicht mehr mit dem Hammer ran und die Sprengnieten wurden in die Löcher getan und dann mit einem Schweißbrenner zum Explodieren gebracht.“
Der Sprengniet hat am unteren Ende eine Bohrung, gefüllt mit Explosivstoff. Er wird in die Bohrung der zu verbindenden Teile eingeführt und anschließend erhitzt: die Sprengladung explodiert, der Niet wird dabei „aufgepilzt“ und sein Schaft gestaucht - um die beiden Teile fest aneinander zu ziehen und die Nietverbindung zu sichern.
Die Arbeitstakte am Ovalförderer waren zeitlich genau berechnet; war die Zeit um, ertönte eine Glocke und die Kette der Montagewagen zog an. Die beiden erst siebzehnjährigen Franzosen Michel Didier und Alfred Favreau hatten bei der Flügelmontage komplexere Arbeiten zu verrichten, bei denen sie hektisch in Zeitnot geraten konnten. Sie erinnerten sich im Mai 2001 bei einem Besuch in Leonberg.
Michel Didier: „Die Arbeit im Tunnel war sehr, sehr hart. Es gab immer die Kapos, die hinter uns waren. Ich musste ein großes Lineal aus Metall an die Tragflächen halten, um zu sehen, ob sie eben ist, so eine Art Schablone. Da gab`s einen Kapo, der schubste und schlug uns; das war alles sehr schwierig“
Alfred Favreau: „Ich habe durch eine Öffnung die Tragflächen von innen verstärkt. Das ging nur mit einem Spiegel, mit dem ich um die Ecke schauen konnte. Die Öffnung war ziemlich eng und ich konnte nicht so richtig arbeiten, weil ich mit den Händen und der Bohrmaschine und dem Spiegel da hantieren musste. Und da habe ich mir laufend die Finger und die Hände verletzt“
Station 4 - Aus vieler Mütter Länder
Aus vieler Mütter Länder
Verschleppt aus 24 Ländern
Die über 3000 (5000) Männer des KZ-Leonberg kamen aus 24 Ländern. Aus Polen stammten 30 %, aus Russland 23%, Italiener waren mit 13% vertreten, Franzosen und Deutsche einschließlich Österreicher jeweils mit 7%. Ungarn und die Balkanländer kamen auf je 6%, weitere Nationalitäten lagen in der Größenordnung von 1% und weniger. Die Männer kamen meist über das KZ Dachau oder eines seiner Außenlager und waren zunächst ab April 1944 im „alten Lager“ in unmittelbarer Nähe zum Tunnel in Holzbaracken untergebracht. Ab Dezember 1944 stand auch das „neue Lager“ mit sechs zweistöckigen Flachdach-Massivbauten zur Verfügung. Gegen Ende des Krieges kamen viele auch direkt von Ausschwitz nach Leonberg. Manche hatten schon eine lange KZ-Odyssee hinter sich.
Rangordnung
Eine Verständigung zwischen den Nationalitäten war nur schwer möglich.
Aus Sicht der Bewacher gab es eine Rangordnung in der Leonberger Häftlingsgesellschaft: Juden, Zigeuner und Menschen aus slawischen Ländern, mehr als die Hälfte der Insassen, standen auf der untersten Stufe. Sehr verhasst waren auch die Italiener, denn sie galten nach der Kapitulation Italiens 1943 als Verräter. Danach rangierten Franzosen, gefolgt von west-und nordeuropäischen Häftlingen, die zur „germanischen Rasse“ gezählt wurden.
Streng hierarchisch gegliedert war auch das Lagersystem selbst. Dem Kommandanten an der Spitze folgten Wachmannschaft, Rapportführer und Blockführer. Verschiedene Funktionshäftlinge sorgten für geordnete Abläufe bis auf die unterste Ebene.
Die Zahl der Häftlinge stieg kontinuierlich an bis zum Höhepunkt Ende Januar 1945 mit 3000 Häftlingen. Mehr als die Hälfte wurde während der gesamten Zeit ausgetauscht und wegen Krankheit und Tod ersetzt.
Station 5 - Der Alltag
Der Alltag
Hunger und Strafen
Der Alltag war geprägt von Hunger, Strafen, Krankheit und Tod durch schwere und gefährliche körperliche Arbeit.
Es gab für die Häftlinge angewärmtes Wasser mit Steckrüben oder Kraut als Einlage, nur einmal etwas Pferdefleisch in der Suppe, ansonsten morgens und abends Tee mit einem Stück Brot und etwas Margarine. Wer kein Essgeschirr hatte, ging leer aus. So versuchte jeder Gefangene, zusätzlich etwas Essbares zu erlangen. Der Kontakt zur Leonberger Bevölkerung war grundsätzlich untersagt. Bei Außenkommandos jedoch steckte – trotz Verbots – die Bevölkerung den Häftlingen gelegentlich Essbares zu.
Strafen waren an der Tagesordnung. Wer den Erwartungen beim Arbeitseinsatz nicht entsprach oder sich widersetzte, wer beim Stehlen von Essbarem oder einem Fluchtversuch erwischt wurde, konnte sich einer Strafe sicher sein. Die Maßnahmen reichten von Prügelstrafen, stundenlangem Appellstehen über Essensentzug bis zu Hinrichtungen.
Krankheit und Tod
Die anstrengende Arbeit, permanente Unterernährung, mangelnde Hygiene und fehlende ärztliche Versorgung zerstörten die Gesundheit der Häftlinge oft nach wenigen Wochen. Dem Lagersanitäter standen weder Arzneimittel noch Verbandsmaterial oder Instrumente zur Verfügung. Die hygienischen Bedingungen waren katastrophal, es gab keine Kanalisation, kein fließendes Wasser im Tunnel, Abwässer und Fäkalien flossen offen entlang der Seestraße in den Feuersee am Seegarten. Das führte im Dezember zum Ausbruch einer Flecktyphus-Epidemie, die einen schnellen Anstieg der Todesrate bewirkte. Allein in Leonberg starben 389 Häftlinge.
Station 6 - Das Ende
Das Ende
Der Todesmarsch nach Bayern
Wenige Tage vor der Besetzung Leonbergs durch französische Truppen wurden die Häftlinge auf einen Todesmarsch in Richtung Bayern getrieben. Anfang April 1945 ließ die Firma Messerschmitt ihre Maschinen nach Landsberg bringen. Mitte April sprengte die SS den Engelbergtunnel. Ihre baldige Befreiung vor Augen wurden 2700 Häftlinge zu Fuß und per Güterwagen nach Bayern verbracht, wo sie in Kaufering und Mühldorf erneut beim Bau der Me262 eingesetzt werden sollten. Tatsächlich wurden sie kreuz und quer in Richtung Alpen getrieben. Dabei starben mehr als ein Viertel der Häftlinge, bis die Befreiung kam.
Tribunal in Rastatt
Am 19-. April 1948 verurteilte ein französisches Militärtribunal in Rastatt zwei SS-Wachmänner und vier Funktionshäftlinge des KZ-Leonberg sowie drei leitende Messerschmitt-Mitarbeiter zu Freiheitsstrafen bzw. zum Tod. Alle Angeklagten hatten nach wenigen Jahren ihre Strafe verbüßt oder wurden begnadigt. Die zwei noch lebenden SS-Lagerleiter und die obersten Führungskräfte der Firma Messerschmitt konnte das Gericht nicht ausfindig machen bzw. nicht vorladen. Willy Messerschmitt wurde von der Spruchkammer Augsburg 1948 als „Mitläufer“ eingestuft. Ihm wurde eine Sühnemaßnahme in Höhe von 2000 Reichsmark auferlegt.
Station 7 - Avraham Ary
Avraham Ary - Kurzbiografie
Avraham Ary, geboren 1928 in Bialystok (Polen), lebt heute in Israel. Avraham Ary gehörte in seiner Heimat einer zionistischen Jugendgruppe an.
Im Juni 1941 wurde seine Familie für zwei Jahre in das neu errichtete Ghetto von Bialystok gezwungen. Nach dessen Räumung im Sommer 1943 wurden seine Mutter und seine beiden Brüder in das Vernichtungslager Treblinka deportiert.
Avraham Ary kam zusammen mit seinem Vater in das Zwangsarbeitslager Blizyn. Dieses wurde später in ein KZ-Außenlager umgewandelt. Am 31. Juli 1944, wurde er nach Auschwitz deportiert. Dort wurde sein Vater ermordet.
In Auschwitz war Avraham Ary, 16-jährig, zeitweise in einer Kinderbaracke zu medizinischen Versuchen, später beim Müllkommando. Im Dezember 1944 wurde Avraham Ary nach Leonberg verschleppt. Im April überlebte er den Todesmarsch in Richtung Bayern.
Nach der Befreiung kam er nach Italien und ließ sich zum Matrosen ausbilden. Kurz nach der israelischen Staatsgründung wurde er dort Marinesoldat und war später Offizier in der israelischen Marine..