Begegnung im Schatten der einstigen Todesfabrik
von Michael Schmidt
Ex-Häftling Fusco Godani besucht nach 62 Jahren erstmals das KZ am Engelberg, begleitet von Schülern aus seiner Heimatstadt
Leonberger Kreiszeitung, 3. April 2006
Leonberg. Sein Name ist in Metall gebrannt, dort, wo er monatelang in der Todesfabrik im Engelberg schuften musste, als Nummer 38023: Nach mehr als 60 Jahren ist der einstige KZ-Häftling Fusco Godani zurückgekehrt, begleitet von italienischen und deutschen Schülern.
Als Fusco Godani so alt war wie Matteo Donnello, da wollte er nicht in den Krieg. Wollte keine Waffe in die Hand nehmen. Der heute 81-Jährige und der 18-jährige Schüler aus der ligurischen Hafenstadt La Spezia stehen nebeneinander und schauen in den dunklen Schlund des alten Engelbergtunnels.
Kalt streicht die erdige Luft aus der einstigen Autobahnhöhle. Der gelernte Dreher Godani zeigt in der kahlen Röhre auf Anhieb seine Position im menschenmordenden Presswerk für Messerschmitts Düsenjägerflügel. „Es war genau hier, nicht weit vom Eingang. Damit hatte ich noch einen Vorzug“, sagt der alte Mann, der im September 1943 wegen Kriegsdienstverweigerung in die Mühlen der deutschen „Arbeitserziehungslager“ geriet. Glückte ihm 1944 auch die Flucht, so schien doch alles vorbei, als er am Brenner geschnappt wurde. Es begann eine Odyssee durch Konzentrationslager. Godani braucht mehrere Minuten, um sie Oberbürgermeister Bernhard Schuler beim Empfang am Samstagmorgen im Rathaus aufzuzählen. Das Presswerk Leonberg war nur der Anfang. Flossenbürg, Allach, Buchenwald folgten, in den Salzschächten von Bad Salzungen musste er vier Monate nonstop unter Tage schuften und hausen, die Häftlinge waren in den Stollen untergebracht. Den Todesmarsch zurück ins KZ Flossenbürg stoppten amerikanische Soldaten am 23. April 1945.
An diesem 1. April 2006, diesem Samstagvormittag, an dem endlich die Krokusse auf den Wiesen blühen und die Luft voller Frühling ist, geht Godani entspannt, fast heiter, den "Weg der Erinnerung" entlang, umringt von einer Gruppe Schüler. Wie schon bei anderen ehemaligen Häftlingen, die von der KZ-Gedenkstätteninitiative nach Leonberg eingeladen wurden, zeigt sich eines: Die Zeitzeugen mögen alt oder greisenhaft sein, doch wer den Holocaust und die „Vernichtung durch Arbeit“ überlebt hat, strahlt auch heute noch einen unbeugsamen Lebenswillen aus. Müde scheint der 81-jährige Godani von der dreistündigen Tour durch Leonberg kaum, als er endlich am Tunnelportal steht.
Es ist eine bunte Gruppe aus La Spezia, die da für einen Tag die Stadt besucht. Ein gutes Dutzend Schüler, Witwen und Angehörige ehemaliger Häftlinge sind der Einladung der „Italienischen Vereinigung ehemaliger KZ-Häftlinge“ gefolgt. Eine Woche lang ist die Delegation unterwegs, besichtigt Konzentrationslager in Bozen, Dachau, Flossenbürg, Natzweiler und eben auch Leonberg. Dazu kommt noch eine Visite im Europaparlament in Straßburg. Vor allem für italienische Abschlussklassen ist die von der jüdischen Gemeinde, der Kommune La Spezia und den Antifaschisten gesponserte Reise üblich.
Unüblich ist es, dass sich unter die italienischen Jugendlichen am Samstag in Leonberg auch noch deutsche Schüler mischen. Die Italienischlehrerin Birgit Calzolari-Mothes hat es schon lange gestört, dass „die italienischen Jugendlichen zwar das KZ-Dachau besichtigen, dann vielleicht noch ins Hofbräuhaus gehen, aber keinen Kontakt zu deutschen Jugendlichen haben“.
Deswegen gehen einige der rund 130 Italienisch-Schüler des Johannes-Kepler-Gymnasiums an diesem Morgen mit auf dem Weg der Erinnerung. Die 19-jährige Cosima Seibold teilt durchaus die Kritik ihrer Lehrerin: „Mir haben die Jugendlichen erzählt, dass andere Klassen in sieben Tagen sieben KZ-Gedenkstätten angeguckt haben.
Ich frage mich schon, ob das ein reales Bild von Deutschland ist, wenn man sich ein KZ nach dem anderen anschaut.“ Mit Matteo Donnello übt sie sich im Smalltalk, unmittelbar vor der Tunnelröhre: Beide machen dieses Jahr Abitur, Cosima von heute an, Matteo kann noch bis Juni warten. Grinsend tauschen sie sich über Prüfungsfächer aus - wie es Abiturienten in diesen Tagen so tun.
“Deutschland heute? Also, es ist doch klar, dass man unterscheiden muss. Da ist die Geschichte mit den Nazis. Aber Deutschland heute ist anders“, sagt Matteo und fügt lächelnd hinzu: „Bellissimo“. Im Übrigen: „Die ganze Welt ist heute ein Dorf.“ Er hält die deutschen Jugendlichen für „sehr sympathisch“, genauso wie er respektvoll Fusco Godanis Geschichte lauscht.
3000 Namen und Patina auf der Wand aus Stahl - von Michael Schmidt
Mahnmal Alter Engebergtunnel
Leonberg. Die CDU-Gemeinderatsfraktion konnte sich vor einem Jahr nicht durchringen zur Eröffnung der KZ-Gedenkstätte einen Vertreter zu entsenden. Doch an Besuch fehlte es dem KZ-Mahnmal am alten Engelbergtunnel seither nicht.
Den Häftlingen, die in Leonberg nur eine Nummer waren, ihren Namen zurückgeben:
Von Anfang an, war das mit das wichtigste Ziel der KZ-Gedenkstätteninitiative. Es begann mit einem „Namensbuch", dass in der nahen Blosenbergkirche in einem Metallschrein ruht und in dem nach und nach die Namen der vielen Häftlinge des KZ-Außenlagers dokumentiert wurden.
Mit der Eröffnung des neuen Engelbergbasistunnels rückte dann der alte Autobahntunnel ins Blickfeld. Von April 1944 bis April 1945 mussten mehr als 3000 Männer Flugzeugflügel pressen – geschützt vor Bombenangriffen im Autobahntunnel.
Nachgewiesen ist der Tod von mindestens 389 Menschen, die von einem Massengrab am Blosenberg in ein Grab auf dem Alten Friedhof umgebettet wurden. Ein Kreuz auf dem Blosenberg und ein Stein auf dem Friedhof erinnerte bald nach dem Krieg daran – freilich ohne, dass hier von einem „KZ" zu lesen wäre.
Das steht dafür auf jener 25 Meter langen, 50 Tonnen schweren Namenswand vor dem Tunnelportal. Per Lasertechnik wurden vom Künstler Johannes Kares endlos scheinende Buchstabenketten in die Stahlplatten geschnitten. In einem Jahr hat sich nun eine gleichmäßige Rostschicht über die Platten gelegt, von Graffiti-Schmierereien blieb das Denkmal verschont. Ob es daran liegt, dass an kaum einem anderen Ort in der Region Geschichte so begreifbar wird: Wenn Schülergruppen den Ort besuchen, dann tasten sie reflexartig mit den Fingern die durchsichtigen Namen ab – es ist ein Grund, weshalb es dem Mahnmal an Besuchern kaum mangelt.