Das Grauen hat sie ihr ganzes Leben lang begleitet

von Arnold Einholz
Die ehemaligen Häftlinge des KZ Leonberg, Moshe Neufeld (Israel) und Michel Didier (Frankreich) sind im Alter von 82 und 80 Jahren verstorben
Leonberger Kreiszeitung, 15. Januar 2008

Leonberg. Viel Leid haben Moshe Neufeld und Michel Didier in Leonberg erfahren. Als Insassen des ehemaligen KZ sind die beiden zum Kriegsende knapp dem Tod entkommen. Vor kurzem sind sie in ihren Heimatländern verstorben.

Moshe Neufeld ist am 4. Januar 2008 in Israel gestorben und im Kibbuz Barkai beerdigt worden. Er ist 82 Jahre alt geworden. Geboren wurde er am 7. Juli 1926 in Satu-Mare, damals ein Zentrum orthodoxen und chassidischen Judentums in Nord-Siebenbürgen (Rumänien).

Im Jahr 1940 fiel seine Heimat an Ungarn. Nach der Besetzung Ungarns durch die deutsche Wehrmacht im Frühjahr 1944 wurde seine Familie in ein Ghetto gebracht und im Juni nach Auschwitz deportiert. Dort verlor Moshe Neufeld seine Mutter, seinen Bruder und seine Schwester und zuletzt den Vater. Ihnen hat er in seinen Bildern ein Denkmal gesetzt und versucht, im Malen mit dieser Erinnerung fertig zu werden.

Nach der Auflösung von Auschwitz am 18. Januar 1945 kam Moshe Neufeld mit einem der berüchtigten Todesmärsche über die Lager Gleiwitz, Großrosen, Flossenbürg nach Leonberg. Nach einem weiteren Marsch von Leonberg nach Bayern im April 1945 und der Befreiung durch die Amerikaner in Tutzing wanderte Moshe Neufeld im Dezember 1946 nach Palästina aus. Er lebte und arbeitete im Kibbuz Barkai im Norden Israels.

Im Oktober 2001 war Moshe Neufeld bei der Präsentation des Buches über das KZ Leonberg eingeladen worden. Er wollte und konnte nicht kommen, weil das Datum mit dem Erinnerungstag an die Ermordung seines Vaters in Auschwitz zusammenfiel. Mit Unterstützung der Stadt Leonberg wurden zwei Jahre später seine Bilder im Stadtmuseum gezeigt. Damals war er bereit, doch nach Leonberg zu kommen. „Während dieser Zeit gab es eine für ihn sehr schöne Begegnung mit Richard von Weizsäcker im Gebersheimer Pfarrhaus“, erinnert sich Eberhard Röhm, der Vorsitzende der KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg.

Michel Didier aus Frankreich, KZ-Gefangener in Leonberg von Dezember 1944 bis April 1945, ist 80 Jahre alt geworden. Er ist, wie seine Frau Colette der KZ-Gedenkstätteninitiative mitgeteilt hat, bereits am 6. November 2007 verstorben. Erst 17 Jahre war Michel Didier alt, als ihn französische Milizen und deutsche Wehrmachtsangehörige zusammen mit 150 anderen Männern aus Charmes im Moseltal im Herbst 1944 verhafteten und nach Deutschland verschleppten.

Nach einem Aufenthalt im Gefängnis von Schirmeck war seine erste Station in Deutschland Gaggenau, wo die Gefangenen Trümmer des zerstörten Daimler-Werks beiseite räumen mussten. Es folgten Dachau und ab Dezember schließlich Leonberg. Hier hauste er mehr als drei Monate in den neu errichteten Gebäuden auf dem Gelände des heutigen Samariterstifts in der Seestraße. Mit Grauen erinnerte er sich an die Arbeit im Tunnel, die Schläge, die die Häftlinge bekamen, wenn ihnen die Kraft fehlte, zur Zufriedenheit der Vorarbeiter die Arbeit mit einem schweren Lineal zu erledigen oder die Karren über die Gleise zu schieben.

Am Kriegsende, nach durchstandenem Todesmarsch nach Bayern, erkrankte Michel Didier an Typhus. Im KZ Dachau erlebte er die Befreiung durch die Amerikaner. Nach der Rückkehr in die Heimat machte er eine Ausbildung und gründete eine Familie. In den siebziger Jahren zog die Familie arbeitsbedingt weg von Charmes.

Ein letztes Mal war er mit seiner Frau Colette, obwohl schon schwer krank, bei der Einweihung der Namenswand am 8. Mai 2005 am alten Engelbergtunnel in Leonberg. Colette Didier hat der KZ-Gedenkstätteninitiative geschrieben. „Nach 55 Jahren gemeinsamen Lebens wird er mir fehlen, und ich muss allein weiterleben. Glücklicherweise sind meine Kinder und Enkelkinder da, um mir Kraft zu geben, sowie alle unsere Freunde. Meine herzlichen Grüße an die Freunde von Leonberg, die ich niemals vergessen werde.“


zurück