Die meisten Täter hatten keine Skrupel

von Marius Venturini
Eberhard Röhm hat sich in einem Vortrag mit den hiesigen Verantwortlichen für die Euthanasie beschäftigt.
Leonberger Kreiszeitung, 30. November 2010

Nach den knapp eineinhalb Stunden, in denen der Vorsitzende der KZ-Gedenkstätteninitiative über die Beteiligten am Massenmord an Tausenden Behinderten spricht, ist klar: Wer Täter, Mittäter oder verstrickt war, ist genau so schwierig zu beantworten, wie die Frage, ob mehr Widerstand möglich war.

Es ist der vorletzte Termin der Veranstaltungsreihe, die sich - neben der Ausstellung im Haus der Begegnung - mit den Euthanasieopfern aus Leonberg beschäftigt. 25 Besucher haben dafür den Weg zur Leonberger Volkshochschule gefunden.

„Eigentlich sind die wichtigsten Menschen, um die es hier geht, die Opfer. Auf der Suche begegnet man jedoch zwangsweise auch den Tätern“, beginnt Eberhard Röhm sein Referat. Und die Verantwortlichen für Württemberg saßen in Stuttgart - allen voran der damalige Innenminister Jonathan Schmid, gebürtiger Gebersheimer. „Er war Erfüllungsgehilfe der Mordbefehle. Es gibt keinerlei Hinweise, dass er in seinem Tun irgendwelche Bedenken oder auch nur die kleinsten Skrupel hatte“, so Röhm. Fakt ist jedoch auch: Er hätte Menschen vor dem Tod bewahren können.

Doch auch diejenigen, die als KZ- und Leiter der württembergischen Tötungsanstalten Karriere machten, bleiben nicht unerwähnt. Im Verlauf des Vortrags wird deutlich, dass sie alle eine ähnliche Laufbahn vorzuweisen hatten. „Sie waren mit der Zeit so blutbefleckt, dass sie zu nichts anderem mehr tauglich waren“, sagt Röhm.

Ein Beispiel dafür ist der Warmbronner Gottlieb Hering, der zunächst Ende 1940 als Leiter des Sonderstandesamtes Pirna-Sonnenstein tätig war. Zur Erklärung: er stellte dort gefälschte Totenscheine für Menschen aus, die in der Anstalt Grafeneck ermordet worden waren. Über die Euthanasie-Stationen Hartheim, Bernburg und Hadamar wurde er schließlich im Sommer 1942 für ein halbes Jahr Kommandant im polnischen Vernichtungslager Belzec. So setzte sich seine Karriere bis zu seinem Tod im Herbst 1945 fort.

Ebenso widmet Röhm einen Teil seines Referats denjenigen, die die Todesbefehle ausführten. Wie Martha Fauser aus Stuttgart. Was die Ärztin der Zwiefaltener Anstalt im Frühjahr 1944 in die Patientenakte des Eltingers Karl Krämer schrieb, ist an Menschenverachtung nicht zu übertreffen: „Es wäre ein Glück für die Familie, wenn er nicht mehr lange leben würde.“ Es ist laut Eberhard Röhm nicht unwahrscheinlich, dass Martha Fauser ihn - wie auch andere Patienten - nur wenige Tage später mit einer Injektion ermordete.

Allerdings existierte auch Widerstand. So weigerte sich zum Beispiel Pfarrer Wilhelm Bräuning, Leiter der Schwäbisch Haller Diakonissenanstalt, die Fragebögen auszufüllen, die zur „Verlegung“ von kranken Menschen in die verschiedenen Tötungsanstalten führten. Auch in Stetten im Remstal kämpfte Pfarrer Ludwig Schlaich mit Briefen und Gesprächen gegen die Anordnungen, verlor aber letztlich gegen den Willen der Oberen.

Lesung: Am Mittwoch, 10. November, endet die Reihe mit einer szenischen Lesung der Theatergruppe Kandel in der Versöhnungskirche (Beginn 19.30 Uhr). Die Ausstellung im Haus der Begegnung ist noch bis zum 12. November zu sehen.


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