Die Waisen von Senones gedenken ihrer Väter
von Ulrich Hanselmann
Vom Elsass ins Leonberger KZ verschleppt – Nur wenige überlebten Tortur im Engelbergtunnel
Stuttgarter Nachrichten, 11. November 2005
An diesem Sonntag wird auf dem Friedhof Seestraße eine weitere Gedenktafel für NS-Opfer enthüllt. Sie erinnert an die Männer, die 1944 aus senones ins Leonberger Konzentrationslager verschleppt wurden.
„Aux memoires des nos peres les orphelins de Senones" (Zum Andenken an unsere Väter. Die Waisen von Senones). Das ist die Inschrift der Gedenktafel, die Mitglieder der KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg an diesem Sonntag gegen 12.15 Uhr beim Massengrab der KZ-Opfer einweihen. Die Tafel befindet sich seit Anfang Mai in Leonberg. Hinterbliebene aus Senones, einem zwischen Colmar und Nancy in den Vogesen gelegenen Ort, hatten sie damals zu einen besonderen Anlass mitgebracht.
Der 8. Mai 2005 war nämlich der Tag, als die im Leonberger KZ zu Nummern degradierten NS-Opfer ihre Namen wiederbekamen. Dank der Gedenkstätteninitiative, die eine Namenswand am alten Engelbergtunnel installieren ließ. Das drei Meter hohe und 25 Meter lange Relief aus Stahlplatten enthält die Namen von 2908 Häftlingen und Zwangsarbeitern.
Vom Frühjahr 1944 bis Ostern 1945 waren zeitweise bis zu 3000 Männer in dem Leonberger Lager kaserniert.
Die Zwangsarbeiter schufteten - so die Aussagen von Überlebenden - bei wenig Essen und vielen Schlägen bis zu 18 Stunden am Tag in den Röhren des alten Engelbergtunnels. Sie mussten Tragflügel für den Messerschmitt-Jäger ME 262 produzieren. Darunter waren auch verschleppte Männer aus Frankreich. „Wir kennen die Namen von 216 Franzosen“, sagt Renate Stäbler, stellvertretende Vorsitzende der Initiative. Doch vermutlich waren es noch etwa hundert mehr.
Die Männer aus Senones und Umgebung wurden am 5. Oktober 1944 zusammengetrieben und einen Tag später deportiert. Eine Gedenktafel in dem elsässischen Ort erinnert an die Verschleppung von 354 Männern. 245 kamen nicht mehr zurück. Nach Leonberg, weiß Stäbler, wurden 24 gebracht. Nur acht von ihnen überlebten die Tortur im Engelbergtunnel. Die Männer aus Senones gehören zu den Opfern einer Nazi-Terroraktion mit Decknamen „Waldfest".
Der elsässisch-lothringische Raum sollte mit allen Mitteln von Widerstandskämpfern gesäubert, Männer und Jugendliche deportiert und ein Schutzwall gegen die vorrückenden Alliierten errichtet werden.
Die mörderische Aktion lief von Mitte August bis Anfang November 1944. Dabei wurde auch der damals 15-jährige Albert Montal aus Charmes bei Nancy verschleppt. Er hat den Engelbergtunnel überlebt. Montal (Nummer 39189) war am 8. Mai dieses Jahres in Leonberg. Er würdigte die Namenswand und die Arbeit der Initiative, die „die Erinnerung für lange Zeit sichern wird an den verfluchten Tunnel und eine Zeit, in der die Menschlichkeit verleugnet wurde".