Ein Franzose musste uns an dieses Lager erinnern
von Anja Tröster
Stuttgarter Zeitung, 4. Februar 2003
Leonberger Bürger setzen sich für eine Gedenkstätte ein, die das KZ am alten Engelbergtunnel vor dem Vergessen bewahren soll
LEONBERG. Bisher erinnert nur ein Museum bei Vaihingen/Enz an die früheren Arbeitslager des KZ Natzweiler in der Region. Das soll sich nun ändern. Eine Initiative will am alten Engelbergtunnel in Leonberg eine Gedenkstätte errichten.
Das weiß getünchte Haus sieht aus wie viele andere. Gemähter Rasen davor, Gardinen hinter Sprossenfenstern, Klebebildchen auf den Scheiben. Schwer vorstellbar, dass dieses Haus vor 60 Jahren Teil eines Konzentrationslagers war, gar als Entlausungsbaracke gedient hat. Hier habe man versucht, die Häftlingskleider im Dampf über heißen Öfen vom Ungeziefer zu befreien, sagt Eberhard Röhm. Gelungen ist es wohl nicht. Seuchen wie Typhus brachten vielen Insassen den Tod.
Die gut 50 Schüler, die an diesem Tag der Einladung der SPD-Landtagsabgeordneten Birgit Kipfer zur Besichtigung gefolgt sind, stehen etwas ratlos vor dem heutigen Samariterstifts mitten in Leonberg. Die Besichtigung eines Konzentrationslagers haben sie sich etwas anders vorgestellt. Eberhard Röhm kennt das Problem nur zu gut, umgeben vom betulichen Charme eines ganz normalen Wohngebiets die Schrecken der Vergangenheit vermitteln zu müssen. Der Pfarrer im Ruhestand hat die KZ-Gedenkstätteninitiative vor vier Jahren mitbegründet. Seit Jahren beschäftigt ihn das ehemalige Lagergelände, in dessen unmittelbarer Nähe er wohnt. Bis zu 3000 Häftlinge haben in dem erst 1944 gegründeten Arbeitslager des in den Vogesen gelegenen KZ Natzweiler gelebt, gearbeitet, gelitten. Ein verstorbener Freund hatte mit der Aufarbeitung von dessen Geschichte begonnen. "Was ich mir vorwerfe, ist, dass ich nicht schon viel früher damit begonnen habe, seine Arbeit fortzusetzen", sagt Röhm.
Das plagt ihn umso mehr, seit er sieht, wie fruchtbar die Arbeit der letzten Jahre war: Zusammen mit einem Fernsehjournalisten hat die Gruppe einen Dokumentarfilm mit 20 Überlebenden gedreht, der demnächst vorgestellt werden soll, ein Buch geschrieben und viele Kontakte ins Ausland geknüpft. "Ich hätte nie gedacht, dass wir so viel finden", sagt Röhm. All das sind Vorarbeiten zu der Gedenkstätte am Eingang des alten Tunnels, westlich der neuen Autobahntrasse.
Dort unterhielt die Firma Messerschmitt in den letzten Kriegsjahren ein Arbeitslager, in dem Flügel des Jagdbombers ME 262 im Akkord gefertigt und zur Endmontage nach Schwäbisch Hall geschickt wurden. Von dem Lager geblieben sind: die Unterkünfte, in denen heute das Samariterstift, ein Hospiz und eine Altenpflegeschule untergebracht sind. Der einstige Feuerwehrteich, heute als Gartenteich genutzt. Eine Tafel auf dem Stadtfriedhof, das an die 389 Söhne anderer Völker erinnert, die in "dunkler Zeit" gestorben seien. Ein Mahnmal auf dem Blosenberg, wo die Franzosen während der Entnazifizierung die Leonberger all die Toten aus den Massengräbern holen ließen. Wenig, was Schüler beeindrucken könnte: "In anderen Konzentrationslagern sieht man mehr", sagt Lena, eine 19-jährige Hauswirtschaftsschülerin. Sie beschäftigt sich viel mit Geschichte. Und dennoch berührt es sie nicht wirklich, was hier passiert ist. Zu wenig Mahnendes ist übrig geblieben.
Die Spuren der Vergangenheit waren getilgt. So gründlich, dass erst 1977, als erste Kontakte in die Partnerstadt Belfort geknüpft wurden, auch das Lager wieder zur Sprache kam. Der damalige Belforter Bürgermeister kündigte im Vorfeld seines Besuches an, er wolle am Blosenberg einen Kranz niederlegen. Auf diplomatische Weise gab der Mann, der selbst während des Krieges in einem KZ gewesen war, den Gastgebern zu verstehen, was er für angemessen hielt. "Ein Franzose musste uns erinnern", sagt Eberhard Röhm.
Es gibt nicht mehr viele Leonberger, die sich an die Zeit damals erinnern und auch noch darüber sprechen. Einer, der früher selbst als Vorarbeiter im Tunnel arbeiten musste, kam im Dezember zu einem Treffen der Gedenkstätteninitiative. Wenn er von dem Jagdbomber ME-262 sprach, glänzten seine Augen. Viel "Gescheites" sei da oben im Tunnel nicht mehr gebaut worden, sagte der Eltinger, der seinen Namen nicht nennen mochte. Er sagte auch, dass er nicht viel von den Häftlingen mitbekommen hat.
Als die ehemaligen Häftlinge zum ersten Mal an den Ort des Schreckens zurückkehrten, wurden auch bei ihnen Erinnerungen wach - allerdings ganz anderer Art. "Das beste Essen, das ich je in Leonberg bekommen habe", kommentierte einer der Überlebenden eine Einladung der Stadt ins Samariterstift vor zwei Jahren. Den Gastgebern wurde klar: Das Erlebte ist noch so präsent, als wäre es erst gestern gewesen. Leonbergs Arbeitslager mag nicht der Vernichtung gedient haben. Für manche Insassen, sagt Röhm, sei es trotzdem schlimmer gewesen als alles, was sie zuvor erlebt hatten. Nirgends litten sie mehr Hunger, mussten mehr frieren und härter arbeiten als hier.
Der Tunnel, in dessen Röhre die Häftlinge bis zu zwölf Stunden am Stück schufteten, ist nur durch eine Gedenktafel gekennzeichnet. Drinnen haben Schüler bei Konzerten die Wände vollgekritzelt: Olli, ich liebe dich! Vor nicht allzu langer Zeit hat Daimler-Chrysler Interesse angemeldet, hier seine Scheinwerfer testen zu wollen. Die Stadt, der das Gelände gehört, witterte ein Geschäft. Der Konzern hat längst dezent Abstand genommen. Ob es daran liegt, dass sich führende Manager im Stillen mit Vertretern der KZ-Gedenkstätteninitiative getroffen haben?
"Wir wollen nicht spekulieren", sagt Renate Stäbler, die sich von allen Mitgliedern der Initiative am meisten für die Gedenkstätte einsetzt. "Wir hätten eine temporäre Nutzung akzeptiert." Im Oktober hatte die Initiative ihr Modell zunächst Oberbürgermeister Bernhard Schuler, dann der Öffentlichkeit vorgestellt. Es besteht aus drei Elementen. Eine Mauer um einen kreisrunden Platz vor dem Tunnel soll die Namen der Häftlinge zeigen, eine Plattform mit mehreren Ebenen im Eingang des Tunnels als Museum dienen. Über all dem soll sich das wachturmartige Mahnmal des Tübinger Bildhauers Johannes Kares erheben. Schuler ließ die Architekturbüros, die sich mit Ideen für das Areal beschäftigen, von den Plänen der Gedenkstätteninitiative informieren. Ein klares Signal seitens der Stadt gibt es zur Gedenkstätte aber noch nicht. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Gemeinderat uns das verwehrt", sagt Renate Stäbler.
Es dürfte ihm tatsächlich schwer fallen. Denn inzwischen haben sich auch der BUND, die Lokale Agenda 21, die Naturfreunde und der Naturschutzbund mit einer "Allee des Gedenkens" der Initiative angeschlossen. Der Leonberger Landschaftsplaner Arno Schmid hat skizziert, wie die Lindenallee einer Idee von Beate Junker folgend das Mahnmal auf dem Blosenberg mit dem westlichen Tunnelportal verbinden könnte. 80 Bäume wären dazu nötig, die Linde zu 300 Euro. Eberhard Röhm glaubt, dass die Chancen für das Projekt nicht schlecht stehen - und sei es nur, weil Arno Schmid auch im Expertengremium sitzt, das die Stadt in dieser Sache berät.
Sollte die Gedenkstätte tatsächlich irgendwann Wirklichkeit werden, könnte die Initiative vielleicht auch leichter junge Mitglieder finden, die weitermachen. "Echt cool, der Opa", lobten selbst die Schüler bei Kipfers Fahrt. Und meinten die Leidenschaft, mit der Eberhard Röhm die Recherche betreibt.