Ein Kämpfer für die Verfolgten

von Arnold Einholz
Der niederländische Widerstandkämpfer Jan Wildschut ist im KZ Leonberg ums Leben gekommen.
Leonberger Kreiszeitung, 15. Februar 2011

Jan Wildschut ist eine der führenden Persönlichkeiten des kirchlich orientierten niederländischen Widerstandes gegen Nazideutschland gewesen. Als SS-Häftling ist er am 1. Januar 1945 im KZ Leonberg gestorben. Sein Leben und Wirken hat jüngst der niederländische Theologe Geert Hovingh als Gast der KZ-Gedenkstätteninitiative beleuchtet.

Dabei ist diese Begegnung nur durch einen Zufall zustande gekommen. Das Ehepaar Hovingh war im vergangenen Sommer auf dem Weg in den Urlaub, als Geert Hovingh das Hinweisschild der Autobahnausfahrt Leonberg auffiel. Er erinnerte sich daran, dass 1945 hier im damaligen KZ der engste Vertraute des bekannten niederländischen Widerstandskämpfers Johannes Post gestorben war - Jan Wildschut.

Kurz entschlossen fuhren die beiden von der Autobahn ab, um nach Spuren von Jan Wildschut zu suchen. "Wir hatten Glück, denn ein besonders freundlicher Mann führte uns zu dem Denkmal, wo wir den Namen von Jan Wildschut fanden", erinnerte sich Hovingh. Auch sei die Ausstellung im alten Engelbergtunnel gerade am diesem Tag geöffnet gewesen und so hätte ihnen Marei Drassdo die Geschichte des Außenlagers geschildert und sie über die Aktivitäten der KZ-Gedenkstätteninitiative informiert. Zu der hat Hovingh dann später Kontakt aufgenommen.

Im Norden der Niederlande, in der Provinz Drenthe, liegt das kleine Dorf Nieuwlande. Die ersten Häuser wurden Ende des 19. Jahrhunderts gebaut, weil damals ausgedehnte Moorgebiete urbar gemacht wurden. Das neue Land (daher der Name des Dorfes) wurde an junge Bauern verpachtet. Sie bauten ihre Höfe um das Dorf, während die Arbeiter und Ladenbesitzer im neuen Dorf wohnten. Heutzutage ist Nieuwlande zwar moderner und etwas größer, aber die ursprüngliche Struktur hat sich kaum geändert. Das einzige ganz neue ist ein Denkmal in der Ortsmitte, das 1985 enthüllt wurde.

Der Staat Israel hat damals den Einwohnern von Nieuwlande kollektiv die Yad Vashem-Auszeichnung "Gerechte unter den Völkern" zuerkannt. In Nieuwlande und Umgebung konnten während der deutschen Verfolgung mehr als 1200 Juden untertauchen und den Krieg überleben, dank einfacher gläubiger Menschen. "Sie haben für die Verfolgten ihre Häuser und Herzen geöffnet und dafür ihr eigenes Leben riskiert und einige es auch verloren", sagte Geert Hovingh.

Das Fundament der Organisation, die so viele Verfolgte retten konnte, hat der 1906 geborene Johannes Post gelegt, ein gläubiger Christ und schon als junger Mann politisch sehr aktiv. Er hat es Hunderten von Juden aus ganz Holland ermöglicht, in Nieuwlande unterzutauchen. Er besorgte Verstecke, Nahrung und Kleidung und er stattete sie mit falschen Personalausweisen und Zuteilungspapieren aus. Die wurden bei bewaffneten Überfällen auf Gemeindeämter und Zuteilungsstellen erbeutet.

Der Mann, der die Überfälle organisiert und die meisten auch ausgeführt hat, war Jan Wildschut, der engste Freund Posts. Sie gehörten der größten Widerstandsorganisation in den besetzten Niederlanden an, einem Netzwerk von kleinen Widerstandsgruppen, die bewaffnete Überfälle begingen, um untergetauchten Menschen zu helfen und sie zu versorgen. Sie war aus dem geistlichen Widerstand der protestantischen Kirchen hervorgegangen.

Am 23. Juni 1944 nahm Jan Wildschut auf Bitten von Johannes Post an einem schlecht vorbereiteten Überfall auf die Zuteilungsstelle in Haarlem teil. Die Aktion schlug fehl und er wurde festgenommen und in das Gefängnis in Amsterdam eingeliefert. Post fühlte sich schuldig und brach das ungeschriebene Gesetz, dass man in der Illegalität nie mit einem SS-Mann zusammen arbeiten durfte. Ein solcher hatte ihm nämlich heimlichen Zugang zum Gefängnis versprochen.

In der Nacht zum 15. Juli 1944 versuchten 16 Widerstandskämpfer das Gefängnis zu stürmen. Aber der niederländische SS-Mann hatte den Plan verraten. Die Widerstandsgruppe wurde von einem SS-Kommando erwartet. Einige fielen im Gefecht, andere konnten verletzt entkommen. Die meisten wurden festgenommen, unter ihnen auch Johannes Post, der selbst nicht am Überfall beteiligt war, aber von dem SS-Mann verraten worden war. Nach einem kurzen Verhör wurden alle zum Tode verurteilt. Am frühen Sonntagmorgen des 16. Juli 1944 starben 15 Männer vor dem Erschießungskommando.

Kurz darauf wurde Jan Wildschut mit einem Transport in das KZ Herzogenbusch gebracht. Anscheinend sei man sich nicht bewusst gewesen, wen man hier gefangen genommen hatte, mutmaßt Geert Hovingh, sonst wäre der Gefangene wohl bereits im Sommer 1944 mit den 142 anderen Häftlingen hingerichtet worden. Die waren kurz bevor das Lager von alliierten Einheiten befreit wurde, erschossen worden. Mit dem letzten Transport wurde Jan Wildschut am 8. September aus Herzogenbusch nach Sachsenhausen abgeführt.

Eberhard Röhm, der Vorsitzende der Leonberger KZ-Gedenkstätteninitiative, hat recherchiert, dass Jan Wildschut in einem Transport von 216 Mann am 5. Oktober 1944 vom KZ Sachsenhausen nach Leonberg kam und am 1. Januar 1945 in Leonberg gestorben ist. Er wurde 31 Jahre alt.


zurück