Eine besondere Stadtführung, die nahe geht
von Sabine Ries
Leonberg. Holger Korsten von der Gedenkstätteninitiative ist mit Besuchern auf den Spuren des KZ unterwegs.
Leonberger Kreiszeitung, 6. April 2010
Der Ostersonntag des Jahres 1945 ist auf den 1. April gefallen. Es ist also fast auf den Tag 65 Jahre her, dass in der See- und Bahnhofstraße ein schreckliches Szenario herrschte. "Menschen in grau-blau gestreiften Anzügen ohne Namen", so Holger Korsten von der KZ-Gedenkstätteninitiative, nur mit einer Nummer gekennzeichnet, "kamen und gingen". Beaufsichtigt von Wachmännern der SS.
In Schuhen mit klappernden Holzsohlen, ohne Unterwäsche und Socken, froren die ausgemergelten Männer im Alter von 15 bis 40 Jahren bei Schneeregen erbärmlich. Der Spaziergang entlang dieser selben Straßen ist beklemmend. Etwas mehr als ein Dutzend Teilnehmer gehen ihn am Ostersonntag trotzdem. Darunter einige, die sicht gut erinnern können.
"Das Geräusch der Schuhe hörte man schon von weitem", erinnert sich der damals 12-jährige Gerhard Breutner. Er besuchte die Oberschule am Bahnhof und bekam die Häftlingstransporte mit. Was die Häftlinge aus Dachau und dessen Außenlagern im Leonberger KZ, selbst ein Außenlager des elsässischen KZ Natzweiler, erwartete, war schrecklich. Der einzige Trost: die Aussage "es gibt kein Krematorium in Leonberg". Untergebracht in Hütten, die nur für ein Drittel der tatsächlichen Belegung ausgelegt waren, vegetierten und schufteten sie von März 1944 bis April 1945.
Manche sahen das Tageslicht nie. 389 von ihnen starben. Wie viele nach den Transporten in Kranken- und Sterbelager ums Leben kamen, ist ungewiss. 60 Wachleute und ein ausgeklügeltes System von Kapos, den Funktionshäftlingen, hielten die Häftlinge aus aller Herren Länder in Schach. Ständige Misshandlungen und Bestrafungen, Schlafmangel, Krankheiten und Tod, aber vor allem der quälende Hunger dominierten den Alltag. Holger Korsten veranschaulicht die Hoffnungslosigkeit der Gefangenen "sie beteten und weinten leise". Wenn sie bestraft wurden "hörten die Anwohner schönen Gesang, damit man das Wehgeschrei der Misshandelten nicht wahrnahm", erläutert Korsten.
Zu Essen gab es pro Tag 100 Gramm Brot. Das ist nicht mehr als ein handflächengroßes rund fünf Zentimeter dickes Stück. Mittags gab es eine Brühe aus Rüben und Kohl, garantiert "fettfrei", so Korsten. Geschlafen wurde in Stockbetten übereinander. Zu dritt mit einer Decke auf einer Matratze aus Holzspänen im Wechsel der Schichten. Hygiene war für die über 3000 Inhaftierten nicht möglich. Die Aborte waren nicht an die Kanalisation angeschlossen. Durchfall, Fleckfieber und Läuse breiteten sich aus.
Geschuftet wurde im alten Engelbergtunnel unter unwürdigen Bedingungen rund um die Uhr. Pro Schicht zwölf Stunden. Sieben Tage die Woche. Durch eine Betonzwischendecke war die Produktionsfläche in den Röhren für die Tragflächen des neuen Düsenjägers ME 262 auf etwa 12 000 Quadratmeter vergrößert worden. Die "dezentrale Produktion" in unterirdischen Stollen war nötig geworden, um den gezielten Bombardements der Alliierten ab 1944 auszuweichen. Der Lärm im Tunnel durch die Hammerschläge zur Vernietung der Aluminiumteile, die Explosionen der Sprengnieten mit Pulverladung und das Abschleifen waren eine zusätzliche Belastung zur ohnehin schon harten Situation. Die Tragflächen der 1400 Flugzeuge, die bis zum Kriegsende zusammengebaut wurden, kamen zur Hälfte aus Leonberg.
Nach Ostern 1945 wurde das Lager aufgelöst und die Produktion Richtung Bayern verlagert. Das bedeutete für viele der Geschundenen einen letzten Marsch: den Todesmarsch. Die Tunnel wurden anschließend gesprengt. Zur Erinnerung und Mahnung gibt es im Eingang der alten Weströhre eine Dauerausstellung, den "Weg der Erinnerung" und Führungen; angeboten durch die KZ-Gedenkstätteninitiative, das Stadtmarketing und das Stadtarchiv.