Eine Scheibe Brot als Symbol der Versöhnung

von Eberhard Röhm
Leonberger Kreiszeitung, 7. August 2012

Er war einer der vitalsten und herzlichsten Überlebenden der KZ-Außenstelle Leonberg. Mordechai Nojovits hat sich aktiv für die Versöhnung, aber auch für die Erinnerung der Holocaust-Opfer eingesetzt. Nun ist er im Alter von 86 Jahren gestorben. Unvergessen jener Augenblick, als Mordechai Nojovits Anfang Juni 2008 mir aus Tel Aviv anrief und fragte, ob er zur Einweihung der KZ-Dokumentationsstätte im alten Engelbergtunnel auch mit seinem jüngsten Enkel, einem Jazz-Pianisten, kommen dürfte.

Dieser wäre bereit, in Schulen zu spielen. Und so kam es dann auch. Hod Moschonow gab an etlichen Schulen kleine Konzerte, im Johannes-Kepler-Gymnasium zusammen mit Mitgliedern der Big Band der Schule, und der Opa berichtete in seiner lebendigen Art über seinen Weg von Siebenbürgen über Auschwitz nach Leonberg und schließlich nach Israel.

„Die Schlechtesten haben überlebt“

Wir von der KZ-Gedenkstätteninitiative sind tief traurig, denn wir haben einen lieben guten Freund verloren. Zum ersten Mal haben wir von ihm vor zwölf Jahren gehört, als uns die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem ein in hebräischer Sprache abgefasstes Interview mit ihm zukommen ließ. Mit der Übersetzung durch Zeev Goldreich-Fernbach und Ruth Tewes bekamen wir ein Bild vom bewegten Schicksal des ehemaligen Leonberger KZ-Häftlings.

Mordechai Nojovits, damals hieß er noch Markus, ist 1925 in Borsa/Transsilvanien (rumänisch-ungarisch Siebenbürgen) als Sohn jüdischer Eltern geboren. Sein Vater hatte einen Gemischtwarenladen, sodass die Familie einigermaßen davon leben konnte. Mit dem Einmarsch deutscher Truppen in Ungarn im März 1944 und damit auch in Nordsiebenbürgen begann die brutale Verfolgung der bislang noch unbehelligten jüdischen Minderheit. Im Mai 1944 traf es die Familie von Mordechai Nojovits.

Die Mutter wie die jüngeren Geschwister Lea, Josef, Benjamin und Moshe wurden in Auschwitz-Birkenau ermordet.
Nur der älteste Bruder, die ältere Schwester und der Vater überlebten wie auch Mordechai. Er verdankte das Überleben dem Umstand, dass die SS ihn als jungen kräftigen Mann dem Müllkommando und später dem Brotverteilkommando zugeteilt hatte, sodass er sich zusätzlich aus dem Abfall der Wachmannschaften ernähren konnte. Vor Schülern der Gerhart-Hauptmann-Realschule gestand Mordechai Nojovits auf die Frage nach den Überlebensstrategien freimütig und zugleich im absurden Gefühl bleibender Schuld: „Nur die Schlechtesten haben Auschwitz überlebt.“

Gemeint war: Nur wer die urmenschliche Moral der Nächstenliebe, die mit dem andern das Brot teilt, aus Überlebensangst vergessen konnte, hatte eine Chance, nicht zu verhungern. Für ihn war darum Leonberg schlimmer als Auschwitz. Hier wie zuvor schon in den KZs Groß-Rosen und Flossenbürg bekam er in den letzten Wochen des Krieges den wirklichen Hunger zu spüren und magerte auf 40 Kilo ab.

Unvergesslich bleibt für uns darum auch eine symbolische Handlung beim gemeinsamen Abendessen beim ersten Besuch in Leonberg im Oktober 2001. Mordechai erinnerte sich, dass er statt einer versprochenen Scheibe Brot für eine Sonderarbeit im Lager Leonberg vom Kapo einen Schlag auf die Wange bekommen hatte. Auf diese Scheibe Brot hatte er lange warten müssen. Jetzt bekam er sie, hielt sie hoch und verzehrte sie.

„Leonberg schlimmer als Auschwitz“

Nach Leonberg erlebte und überlebte Mordechai Nojovits in der zweiten Aprilhälfte 1945 auch noch den Todesmarsch nach Bayern. Nach der Befreiung durch die US-Armee war sein Ziel Palästina. Freilich er musste ein Jahr lang auf Zypern auf die Einreisegenehmigung durch die britische Mandatsregierung warten. Von 1949 bis 1952 tat er Dienst in der israelischen Armee. Anschließend war er Sekretär bei der Gewerkschaft für allgemeine Dienste in Tel Aviv, wo er zusammen mit seiner Frau Fanny, ebenfalls eine Holocaust-Überlebende, eine Familie gründete.


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