Erinnerungen an die Zeit des Schreckens

von Stefan Bolz
Leonberg. Moshe Langer erzählt im Stadtmuseum von seiner Kindheit im Ghetto.
Leonberger Kreiszeitung, 1. Februar 2010

Er ist einer der letzten noch lebenden Zeugen einer Zeit, deren monströse Grausamkeit die Menschen bis heute sprachlos macht. Auch Moshe Langer hat viele Jahre gebraucht, um seine Sprache wieder zu finden - heute sieht sich der Mann, der nie über seiner Erlebnisse in diese Zeit reden wollte, als Mittler, der die Erinnerung an das Grauen weiter trägt.

So ist der 1927 in Polen geborene Langer auch gestern Vormittag ins Leonberger Stadtmuseum gekommen, eingeladen von der Stadt und der KZ-Gedenkstätteninitiative. Es dürfte ihn gefreut haben, dass sein Vortrag auf so viel Interesse stieß: Mehr als 60 Besucher, darunter auch viele Jüngere, drängten sich in den engen Räumen des Museums. Leiterin Kristin Koch-Konz musste gar noch sämtliche Hocker aus den Nebenräumen zusammensuchen.

Klein und fast ein wenig unscheinbar wirkt der 83-Jährige. Und er erzählt ruhig, sachlich, betont unaufgeregt. Doch was er da berichtet, das hält die Besucher in Atem an diesem verschneiten Vormittag. Moshe Langer beschreibt das Krakauer Ghetto, in dem seine fünfjährige Leidenszeit begann. Er erzählt von seinen ersten Begegnungen mit der SS, mit völlig unberechenbaren Wachleuten, deren Willkür die Juden in den Ghettos und später in den Konzentrationslagern hilflos ausgesetzt waren. "Wenn es ein Problem gab, konnte so ein Wachmann ganz freundlich sagen, dass er das regelt. Und dann gab es einen Kopfschuss", nennt Langer als Beispiel.

Fünf Konzentrationslager, von Theresienstadt bis Buchenwald, hat Moshe Langer überlebt - als Einziger in seiner Familie. Als ihn im Frühjahr 1945 die Rote Armee befreite, hatte er Typhus und wog noch 38 Kilogramm. "Die sowjetische Krankenschwester, die uns zuerst betreut hat, hat mich wie ein Kind auf den Arm genommen", sagt er. Nach Jahren des Hungers, in denen die Menschen Gras und halb verfaulte Rüben gegessen hatten, gab es wieder Brot und Konserven. Von dem Überangebot an Nahrungsmitteln seien die Menschen aber erst recht krank geworden.

Besonders eindringlich sind Langers Erinnerungen, wenn sie ganz persönlich werden. Was ihm so durch den Kopf gegangen sei, wenn Freunde auf einem Marsch direkt neben ihm erschossen wurden. Oder wie die Gefangenen langsam lernten, die alltäglichen Gefahren des Lagerlebens abzuschätzen. Moshe Langer erzählt mit Charme, sogar mit Witz. Und er scheut auch nicht die Diskussion, die sich an seinen Vortrag anschließt und fast zwei Stunden dauert. Viele Details wollen die Besucher wissen, etwa zu den hygienischen Bedingungen in den Lagern.

Der Bogen spannt sich jedoch auch in die heutige Zeit. Schließlich ist Moshe Langer seit 1949 mit Felicia Langer verheiratet, die sich als Anwältin und Menschenrechts-Aktivistin seit Jahren für die Rechte der Palästinenser einsetzt. Einige der Fragen waren eigentlich für sie bestimmt. Moshe Langer, der eigentlich mit Vornamen Mieciu heißt, versuchte sich trotzdem an einer Antwort. Die Vergangenheit, so sagt er, habe er bewältigt. Doch die Gegenwart wirft wieder neue Probleme auf.


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