Gedanken zum Wochenende - Zeichen der Menschlichkeit

„Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“
Matthäus 25,.40
Leonberger Kreiszeitung, 27. Januar 2007

Heute nun erscheinen die Gedanken zum Wochenende auf den Tag genau am 27. Januar, also an jenem Tag, an dem 1945 die Lagerhäftlinge im KZ Auschwitz von der Roten Armee befreit wurden. Um dies dem deutschen Gedächtnis besonders gut einzuprägen, hat der frühere Bundespräsident Roman Herzog vor gut zehn Jahren vorgeschlagen, diesen Tag als Gedenktag in Schulen und in der Öffentlichkeit einzuführen und zu gestalten. Diese Initiative kam spät, aber gewiss nicht zu spät.

Immer noch können einzelne Überlebende als Zeitzeugen vom Terror des KZ-Vernichtungslagers Auschwitz berichten. Solche Stimmen können uns den damals alltäglichen Wahnsinn und Terror veranschaulichen, können unser Mitgefühl ansprechen angesichts unsäglicher Leiden und können Hoffnung und Solidarität unter uns Menschen auslösen und nähren, jene unverzichtbaren Grundwerte, von denen wir alle leben.

Auch Mordechai Nojowits war eine kurze (und schlimme) Zeit lang in Auschwitz gewesen, bevor er in den letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges und des Leonberger KZ-Arbeitslagers hier den Zusammenbruch erlebte und schließlich fliehen konnte. Sein Weg führte ihn über Bayern bis nach Palästina (den Staat Israel hat es zu dieser Zeit noch nicht gegeben). Heute lebt er bei Tel Aviv.

Der damals 20-Jährige ist heute über 80 Jahre alt. Seit der Einladung der Stadt Leonberg im Jahr 2001 war er mehrmals hier, zuletzt mit seinen eigenen Enkeln. Bei der ersten Essenseinladung hier vor gut fünf Jahren hielt er bei einer Tischrede eine Scheibe Brot hoch, die esse er bewusst und zuvor. Sie war ihm im Jahr 1945 für eine erzwungene zusätzliche Arbeitsschicht versprochen, aber vorenthalten worden, sagte er. Eine späte Wiedergutmachung, ein wichtiges Symbol der Versöhnung. Noch immer also sind jenseits der Bücher und Dokumente solche Begegnungen möglich. Es ist spät, aber für manches immer noch nicht zu spät.

So ist Anfang dieser Woche in dieser Zeitung anschaulich darüber berichtet worden, wie in Ebersbach der heute 76-jährige Ludwig Neber durch einen Gedenkstein im Salpacher Wald an den grausamen Mord an dem polnischen Zwangsarbeiter Mieczysiaw Wiechec erinnerte.

Das ist damals am 20. Januar 1943 passiert. Der junge polnische Zwangsarbeiter, gerade einmal 23 Jahre alt, war äußerst beliebt. Er war tüchtig und vielseitig, sprach- und kontaktbegabt und freundete sich mit dem jungen, erst 13 Jahre alten Ludwig Neber an. Der polnische Zwangsarbeiter soll sich einer zehn Jahre älteren Frau zu sehr genähert haben, was diese selbst verneinte. Damals hat eine anonyme Anzeige gereicht, um einen jungen Menschen in einer Nacht- und Nebel-Aktion am Galgen zu erhangen, ohne jedes Verfahren.

Solche Erinnerungen können die Menschlichkeit wach halten. Solche Zeichen können unsere Sinne schärfen für das, was es heißt, zu leben und für Freiheit und Gerechtigkeit einzutreten.


zurück