Häftlinge erhalten symbolisch ihre Namen zurück
von Arnold Einholz
Leonberger Kreiszeitung, 3. Mai 2005
LEONBERG - Eine Gedenkstätte in Gestalt einer Namenswand wird die KZ-Gedenkstätteninitiative am Sonntag, 8. Mai, vor dem alten Engelbergtunnel enthüllen. Anwesend sind insgesamt 88 ehemalige KZ-Häftlinge, Gestapo-Häftlinge und Zwangsarbeiter sowie auch Angehörige inzwischen verstorbener KZ-Häftlinge.
Die KZ-Gedenkstätteninitiative erwartet im Laufe dieser Woche insgesamt 88 Gäste aus dem In- und Ausland. Darunter sind elf ehemalige KZ-Häftlinge, ein Gestapo-Häftling und ein Ost-Zwangsarbeiter, also 13 Zeitzeugen des KZ Leonberg. Empfangen werden zudem drei Witwen von KZ-Häftlingen und Gestapo-Häftlingen und eine große Zahl von Kindern und Enkeln ehemaliger Lagerinsassen. Nach ihren Herkunftsländern kommen 25 Gäste aus Holland, 14 aus Frankreich, 14 aus Italien, neun aus Israel, sieben aus Slowenien, zwei aus Tschechien, vier aus der Ukraine, fünf aus Ungarn und acht aus Deutschland.
Die Namenswand wurde nach dem Entwurf des Tübinger Bildhauers Johannes Kares vor dem authentischen Ort der Zwangsarbeit, dem alten Engelbergtunnel, errichtet. Sie ist etwa 25 Meter breit. In einem Metallgerüst hängen 16 Stahlplatten von etwa drei Tonnen Gewicht mit einer Höhe von drei Metern und einer Breite von 1,50 Meter. In 15 Platten sind in den sechs Millimeter starken Stahl die bisher bekannten Namen von 2892 KZ-Häftlingen und 16 Gestapo-Häftlingen und Zwangsarbeitern per Laser eingeschnitten.
Auf einer 16. Platte ist ein Text in vier Sprachen (Polnisch, Deutsch, Italienisch und Französisch) mit Lasertechnik eingeschnitten. Damit wird an die weit über 3000 KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter des von der SS geführten KZ Leonberg erinnert, das eine Außenstelle des KZ Natzweiler im Elsass war.
"Den zu Nummern degradierten Häftlingen sollen damit symbolisch ihre Namen wiedergegeben werden", sagt Eberhard Röhm, Vorsitzender der KZ-Gedenkstätteninitiative. Der Text auf der Texttafel lautet: "Sie waren nur noch Nummern: Über 3000 Männer aus 24 Ländern Europas, von den Nazis verschleppt, im KZ Leonberg der Willkür der SS ausgeliefert, 1944/45 von der Firma Messerschmitt zur Arbeit an den Tragflächen des Düsenjägers ME 262 gezwungen, zwölf Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. 398 KZ-Häftlinge starben in Leonberg, mehr noch in Sterbelagern und auf dem Todesmarsch.
"Die auf ursprünglich 50 000 Euro kalkulierte Namenswand wird wegen unvorhergesehener Schwierigkeiten bei den Arbeiten am Fundament nach heutiger Erkenntnis ungefähr 60.000 Euro kosten, schätzt Röhm. Bei den Bauarbeiten mussten die Initiatoren feststellen, dass auf dem Gelände eine Starkstromleitung, eine Wasserleitung und weitere Leitungen liegen, die mit erheblichem Aufwand umgangen werden mussten.
Die Gesamtkosten für die Namenswand bestreitet die Initiative aus Spenden. Auch den Besuch der ehemaligen Häftlinge in Leonberg und jeweils einer Begleitperson finanziert die KZ-Gedenkstätteninitiative selbst. Die Organisation der Veranstaltung liegt in den Händen eines harten Kerns von rund zwei Dutzend der insgesamt etwa 60 Mitglieder der Gedenkstätteninitiative. Die Fäden laufen beim Vorstandsmitglied Irmtraud Klein zusammen.
"Ein künstlerisch gestaltetes Mahnmal für mehr als 3000 Gefangene während der Naziherrschaft, direkt am Ort ihrer Leiden, dem alten Autobahntunnel Leonberg, ist für einen Künstler eine außergewöhnliche und anspruchsvolle Aufgabe", sagt Christina Ossowski, die Leiterin des städtischen Kulturamtes. "Johannes Kares fand für diese Aufgabe eine gestalterisch reine Lösung im Einschneiden der Namen in große Metallflächen. Die dadurch erzielte Durchsichtigkeit schafft die plastische Dimension der Skulptur. Die grafische Wirkung der Schriftblöcke verleiht der großen Wand einen durchgehenden Rhythmus, der an große Menschengruppen denken lässt."
Während ihres Besuches in Leonberg werden die ehemaligen Lagerinsassen von Mitgliedern der KZ-Gedenkstätteninitiative begleitet. Wie Renate Stäbler, die stellvertretende Vorsitzende der Initiative, mitteilt, werden einige der ehemaligen Häftlinge im Laufe der kommenden Woche auch Leonberger Schulen besuchen: Riccardo Goruppi (Italien) berichtet von seinem Leidensweg im Johannes-Kepler-Gymnasium, während Mordechai Nojovits (Israel) und Pjotr Kudriaschow (Ukraine) im Albert-Schweitzer-Gymnasium zu Gast sein werden.
Einweihung der Namenswand
LEONBERG - Am Samstag, 7. Mai, um 16.30 Uhr werden die Gäste von Oberbürgermeister Bernhard Schuler empfangen. Um 17 Uhr wird am Grab der KZ-Häftlinge auf dem Friedhof Seestraße ein Kranz niedergelegt. Um 18 Uhr ist ein Treffen der Gäste mit den Mitgliedern der KZ-Gedenkstätteninitiative im Haus der Begegnung angesagt.
Am Sonntag, 8. Mai, findet um 10 Uhr ein ökumenischer Gottesdienst in der Blosenbergkirche statt. Predigt: Pfarrer im Ruhestand Eberhard Röhm. Um 11.30 Uhr ist die feierliche Enthüllung der Namenswand vor dem alten Engelbergtunnel. Auf dem Gelände vor dem Tunnel zeigt die KZ-Gedenkstätteninitiative in einem Zelt eine Ausstellung mit Gegenständen aus dem Leonberger KZ und aus der Messerschmitt-Produktion in den beiden Autobahntunnels. Anlässlich der Feierlichkeiten erscheint eine 40-seitige Broschüre "Stationen auf dem Weg der Erinnerung. Das KZ-Außenlager Leonberg 1944-1945". Vor und nach der Einweihungsfeier verkauft die KZ-Gedenkstätteninitiative gegen eine Spende originale Metallbuchstaben, die bei der Herstellung der rund 3000 Namen per Laser entstanden sind.
Bei der Feier am Sonntag sprechen Renate Stäbler, stellvertretende Vorsitzende der KZ-Gedenkstätteninitiative, Oberbürgermeister Bernhard Schuler, Landrat Bernhard Maier, Eberhard Röhm, Vorsitzender, sowie Albert Montal für die ehemaligen KZ-Häftlinge. Es wirken mit eine Bläsergruppe der Jugendmusikschule, die "Honey Bees", der Jugendchor vom Chor Leonberg, und sechs Leonberger Jugendliche unter Leitung von Peter Höfer mit einem szenischen Spiel.