Holocaustgedenktag 2017
„Wir“ das Volk – „Wir“ die Rechtgläubigen
Das pluralistische Prinzip der Vielfalt ist die Grundlage moderner Gesellschaften und Demokratien. Diese zeichnen sich durch die Akzeptanz der vielfältigen Meinungen, Überzeugungen und Lebensweisen aus.
Wer für sich und seine Weltanschauung den Anspruch auf die absolute Wahrheit erhebt, kann das tun, so lange er seinen eigenen Glaubensanspruch nicht anderen Menschen oder Gruppen aufoktroyiert oder aufoktroyieren will.
Die politische Ordnung schließt sich dieser Sichtweise an. Die temporäre Macht einer bestimmten Partei und ihres Programms ist in keiner Weise legitimiert, andere Meinungen, Überzeugungen oder Interessen zu übergehen oder gar zu verbieten.
Dem stehen nationalistische und religiös legitimierte Konstruktionen gegenüber, die ihre einseitige Ideologie oder ihren Glauben der gesamten Bevölkerung aufoktroyieren wollen. Und wer seinen eigenen Glauben mit der „absoluten Wahrheit“ verbindet, will manchmal unbedingt in einer homogenen Gesellschaft leben. Doch die gibt es kaum noch.
Außer den religiösen Fanatikern gibt es natürlich noch andere Gruppierungen mit weiteren Absolutheitsansprüchen: zum Beispiel die mit dem „richtigen“ Blut und Rechtsradikale sowie Nationalisten.
Auch wenn PEGIDA die Abkürzung für „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ ist, stehen ihre Anhänger ebenso wenig für Europa und den Geist des Abendlandes wie die Salafisten für Glaube und Nächstenliebe.
„Wir sind das Volk“ schreien die einen, „Weg mit den Ungläubigen“ schreien die anderen.
So gesehen sind rechtsradikale Organisationen und religiöse Fanatiker Brüder und Schwestern im Geiste. Es werden Ängste geschürt und Feindbilder konstruiert. „Wer nicht zu uns gehört, ist gegen uns“ – mit dieser Vorstellung wird ein Wir-Gefühl hervorgerufen, dass es ermöglicht, dass Andersdenkende und Gegner bedroht und eingeschüchtert werden. Auch im Falle des Antisemitismus können sich diese Gruppierungen die Hand reichen. Krude Verschwörungstheorien, widerliche Hetzschriften gegen Juden und Israel kursieren im Netz und rufen zu Hass und Gewalt auf.
Aber – es geht nicht nur um rechtsradikale Deutsche. Dazu kommen, durch die politische Entwicklung in der Türkei angeheizt, rechtsradikale Türken, die inzwischen nicht zufällig als „türkische PEGIDA“ bezeichnet werden. Auch sie benutzen Kampfbegriffe wie „Lügenpresse“ und „Volksverräter“ und werden dabei von der türkischen Regierung und den gleichgeschalteten türkischen Medien massiv unterstützt.
Im Blick haben all diese Gruppierungen vor allem Globalisierungsverlierer, also durch gesellschaftliche Veränderungen verunsicherte und entwurzelte Menschen. Vor allem aus dieser Gruppe rekrutieren sie ihre Anhänger, die ihrer Ideologie verfallen und die – in diesem Wahn verfangen – bereit sind, zu töten und zu sterben.
Was ist zu tun? Sind wir gegen diese Entwicklungen machtlos?
Mitnichten. Als Demokraten, die von der Vielfalt der Meinungen und Weltanschauungen überzeugt sind, und die Andersdenkende und Andersglaubende mit Respekt behandeln, sind wir in der Mehrheit.
Wir müssen unsere Positionen mit Verve vertreten. Gemeinsam müssen wir den Mund aufmachen und den Fanatikern ihre Grenzen aufzeigen.
Martin Luther King hat mal gesagt: „Gewalt kann man nicht erwidern, Gewalt kann man nur unterlassen“. Recht hatte er. Fanatiker sind laut, aggressiv, und nicht selten gefährlich. Als Demokraten dürfen, können und wollen wir bei diesem Wettbewerb nicht mitmachen. Wir brauchen das auch nicht. Unsere Stärke liegt in unserer Vielfalt und Solidarität. Mit diesen Möglichkeiten müssen und werden wir für eine vielfältige und demokratische Gesellschaft kämpfen.
Dr. Lale Akgün, Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin, 2002 - 2009 SPD-Bundestagsabgeordnete, seit 2011 Referatsleiterin in der Staatskanzlei NRW für Internationale Angelegenheiten und Eine-Welt-Politik, leitet seit März 2013 das Projekt für für nachhaltige und faire Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen NRW. 2012 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Freitag, 27.1.2017, 19.30 Uhr, Atrium des Albert-Schweitzer-Gymnasium, Gerhart-Hauptmann-Str. 15, Leonberg