Im Gedenken an eine düstere Vergangenheit
von Elisa Wedekind
Ein Kruzifix erinnert an die Geschehnisse im KZ von Leonberg
Leonberger Kreiszeitung, 18. April 2011
Es ist ein Zeichen der Erinnerung. Die Erinnerung an seinen Vater Edoardo, den Riccardo Goruppi in Leonberg verloren hat. Als Häftlinge waren sie im einstigen Arbeitslager in der oberen Seestraße untergebracht. Riccardos Vater hat die grausamen Zustände nicht überlebt. Die KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg und die Blosenbergkirchengemeinde arbeiten daran, die Erinnerungen an die Geschichte des KZ Leonberg wachzuhalten. Als Zeichen der Dankbarkeit hat Riccardo Goruppi am Samstag ein von seinem Sohn Roberto gefertigtes Kruzifix überreicht.
Zusammen mit Familie Goruppi ist Sergio D"Este nach Leonberg gekommen. Auch sein Vater Ennio leistete im hiesigen KZ Zwangsarbeit. Ebenso wie Riccardo Goruppi überlebte er diese menschenunwürdige Zeit. Ihre Namen stehen heute auf der Namenswand vor dem alten Engelbergtunnel. „Ich konnte kein einziges positives Gefühl für Leonberg entwickeln“, sagt der heute 84-jährige Riccardo Goruppi, wenn er an seinen ersten Besuch in den frühen sechziger Jahren denkt. Zu tief hätten der Schmerz und die Gedanken an die Erlebnisse gesessen. Dennoch kam er jedes zweite Jahr mit seiner Frau nach Leonberg, um im Gedenken an seinen Vater das Sammelgrab in der Seestraße zu besuchen.
Als die deutschen Truppen im September 1943 Italien besetzten, schloss sich Riccardo einer Gruppe Partisanen an. Ein Jahr später wurde er, zusammen mit seinem Vater, verhaftet und in ein Triester Gefängnis gebracht. Zusammengepfercht wie Tiere wurden sie im Dezember 1944 nach Dachau abtransportiert. „Hier haben sie uns unsere Identität genommen“, erzählt Riccardo Goruppi. Als Riccardo und sein Vater am 31. Dezember 1944 nach Leonberg kamen, wurde Riccardo die Nummer 40 148 zugewiesen. Diese Zahl hat er bis heute nicht vergessen.
Die Arbeit im alten Engelbergtunnel war grausam. Sieben Tage die Woche mussten die Häftlinge bei Eiseskälte zwölf Stunden schuften. Stets begleitet von fürchterlichem Hunger und Angst. Sein Vater überlebte die Zeit nicht, er starb im Januar 1945. Riccardo erkrankte an schwerem Typhus, verlor sogar sein Bewusstsein. "Mir fehlen 20 Tage meiner Erinnerung", erzählt er. In vollgestopften Zügen wurden die abgemagerten und kraftlosen Häftlinge schließlich nach Schwabhausen überführt.
Dort flogen die Amerikaner bereits Luftangriffe. Im Kugelhagel zwischen der SS und den Amerikanern starben Hunderte Menschen. Ihre Schreie verfolgen Riccardo heute noch. Riccardo Goruppi gewann den Kampf ums Überleben. Ein amerikanischer Soldat brachte ihn und weitere drei Überlebende ins Lazarett nach Kloster St. Ottilien. Drei Monate später kehrte er heim.
Heute lebt er zusammen mit seiner Frau Eda in Opicina. Zur KZ-Gedenkstätteninitiative in Leonberg hält er engen Kontakt. Mit seiner Arbeit in Risiera di San Sabba, einer der wichtigsten Gedenkstätten Italiens, setzt sich Riccardo Goruppi dafür ein, dass die Folgen des Faschismus nicht in Vergessenheit geraten. „Erinnern ja - hassen nein! Denn aus Hass ist das alles entstanden, was ich erlitten habe“, lautet heute sein Credo.