In der Zeit des Kalten Krieges waren KZ ein Tabuthema
von Iris Voltmann
Leonberger Kreiszeitung, 15. Juli 2003
LEONBERG - "Sind wenigstens einige der geflohenen Häftlinge durchgekommen?", will eine Frau bei der Führung über den KZ-Gedenkweg am Sonntag wissen. Gemeinsam mit Renate Stäbler von der Gedenkstätteninitiative schritten Bürger den Leidensweg der ehemaligen Häftlinge ab.
"Sicher haben es einige der Männer geschafft, zu fliehen", so Renate Stäbler, "allerdings gibt es davon keinerlei Zeugnisse.
"Die stellvertretende Vorsitzende der KZ- Gedenkstätteninitiative beantwortete alle Fragen mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen. Ob denn nur Männer in Leonberg inhaftiert gewesen seien, wollte eine andere Teilnehmerin wissen. "Ja, sie mussten für die Firma Messerschmitt arbeiten." In anderen Lagern waren sowohl Männer als auch Frauen inhaftiert.
Die Teilnehmer an der Führung fragten sich, wie auf dem ehemaligen KZ-Gelände in den sechziger und siebziger Jahren Wohnhäuser entstehen konnten.
"Wie konnte man denn nur relativ kurze Zeit später wieder Häuser hier aufbauen", sagte ein junger Mann, "hat denn niemand über die Greueltaten berichtet?" In der Zeit des Kalten Krieges sei das ein absolutes Tabuthema gewesen, erzählt Renate Stäbler. "Die Menschen haben darüber nicht gesprochen, und alles geriet in Vergessenheit." Viele haben die Geschehnisse aber auch verdrängt, denn sie habe einmal erlebt, wie sich zwei Achtzigjährige fast geprügelt haben, warf eine Frau ein. "Der eine hat den anderen als Aufseher des KZ-Leonberg wiedererkannt", sagt sie. Das habe der absolut nicht hören wollen und sei auf ihn losgegangen.
"Es muss doch eine sehr hohe Selbstmordrate im Lager gegeben haben", sagte ein älterer Mann. Darüber sei ihr nichts bekannt, erwiderte Renate Stäbler. "Ehemalige Häftlinge haben aber erzählt, dass es weitaus schlimmer war, wenn sich die Männer selbst aufgaben." Die ohnehin geschwächten Körper haben dann nicht mehr lange dem Dreck, den Krankheiten und der Folter standhalten können.
Die Teilnehmer schüttelten fassungslos den Kopf, als Renate Stäbler in den Garten eines großen Hauses zeigte. "Sehen Sie den Gartenteich?", fragte sie. "Das war der Löschteich des KZ-Geländes." Das könne doch nicht sein, dass man den so sang- und klanglos in einen ganz normalen Gartenteich umgewandelt habe, meinte eine Frau.
Der Rundgang der Teilnehmer an der Sonntagsführung endete am alten Engelbergtunnel, wo die Häftlinge Tragflächen für die Messerschmitt 262 produzieren mussten. "Hat diese Sklavenarbeit denn wenigstens etwas gebracht?", wollte ein junger Mann wissen. Er meinte, ob noch Flugzeuge geflogen seien. "Etwa 1400 Maschinen sind noch im Kampf eingesetzt worden", sagte Renate Stäbler, "der Rest wurde von den Alliierten am Boden zerstört."