Jüdischen Ahnen Denkmal gesetzt
von Alexandra Wolf
Leonberger Kreiszeitung, 9. November 2002
LEONBERG - Im Alter von zwölf Jahren erfuhr Klaus Beer, dass seine Großmutter eine Jüdin war. 50 Jahre später forschte er in Archiven und auf Friedhöfen nach seinen Vorfahren. Das daraus entstandene Buch "Ein Denkmal für die Familie Cohen'', stellte Beer am Donnerstagabend rund 50 Gästen in der Stadtbücherei vor.
"Zu Hause wurde über das Schicksal der Familie Cohen nicht gesprochen. Ich weiß nicht einmal, ob meine Eltern das wussten, was ich durch meine Nachforschungen weiß'', sagte Klaus Beer. Seit 1960 besitzt der pensionierte Richter Unterlagen aus dem Nachlass seines Vaters. Den Papieren entnahm Klaus Beer, dass seine Ahnen aus Osterholz-Scharmbeck stammten. 1997 reiste er in den Ort bei Bremen und las in der Bücherei über seinen 1787 geborenen Urgroßvater Nathan Cohen. "Er war Distriktvorsteher der Juden. Er arbeitete als Schlächter. Das war ein verbreiteter Beruf unter Juden, da er keiner Zunft unterworfen war'', erzählte der Ahnenforscher in eigener Sache den Zuhörern in der Stadtbücherei. Zwei Ehefrauen, acht Kinder und 40 Enkel hatte sein Urgroßvater Cohen. Klaus Beers Großmutter Elise ist eines der Enkelkinder. Die Familienmitglieder wanderten nach Hamburg, Berlin, Bremen und Dresden aus.
Manufakturhändler, Versicherungsvertreter oder Arzt waren die elf Familienmitglieder, die 1933 noch in Osterholz-Scharmbeck lebten. Sie bekamen die Boykottaufrufe der Nationalsozialisten gegen die Juden zu spüren. "Mit dem Beginn des Krieges wurde es noch ernster für meine Vorfahren. Ich erzähle hier aber nicht den Holocaust, sondern nur das, was die Familie Cohen betrifft'', betonte Klaus Beer.
Beer erzählt wie 1000 Juden, darunter sieben seiner Vorfahren im November 1941 in einem Zug in die weißrussische Stadt Minsk deportiert wurden. "Doch erst im Frühjahr ging es mit dem Endlösungsprogramm weiter. Die Juden wurden in einem 20 Kilometer von Minsk entfernten Wald erschossen'', so der pensionierte Richter. Bei seinen Forschungen interessierte Beer auch, "aus welchem Milieu die Menschen kamen, die an der Grube schossen''. Dabei stellte er fest, dass Juristen genauso mit von der Partie waren wie Theologen oder hohe Polizeibeamte.
Den Juristen Beer verwunderte es, wie gering die tausendfachen Morde an den Juden in Minsk geahndet wurden. So erschoss der Kriminalbeamte Georg Heuser nachweislich Juden in Weißrussland. "Trotzdem machte er nach dem Krieg Karriere, wurde Leiter des Bundeskriminalamtes Rheinland-Pfalz'', so Beer. Erst 1959 wurde er zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, kam aber 1969 wieder frei. Gar nicht erst ins Gefängnis kam Walter Rauff, der den Einsatz von mobilen Vergasungswagen leitete. "Rauff trat gleich nach dem Krieg mit Allen Dulles in Verbindung, dem Leiter des amerikanischen Geheimdienstes'', berichtete Beer. Der Judenmörder erhielt von dem Geheimdienst den Auftrag, beim Rückzug der Deutschen aus Italien, die Industrie vor Zerstörungen zu bewahren. "Mit einem Vatikanpass reiste Rauff nach Chile aus. In Deutschland wurde man erst auf ihn aufmerksam als er seine Pension verlangte'', erzählte Beer. Als die deutsche Justiz das Auslieferungsersuchen an Chile 1963 stellte, waren die Verbrechen schon nach chilenischem Recht verjährt.
"Wenn man sich die Vergangenheit seiner Familie anschaut, stößt man auf alles'', fasste Klaus Beer das Ergebnis seiner Forschungen zusammen. Doch die Geschichte der Familie Cohen geht alle an, schreibt Dr. Wolfgang Benz von der Technischen Universität Berlin im Vorwort des Buches: "Sie ist Annäherung an historisches Geschehen, von der viele Nutzen haben.
Literatur: Klaus Beer, Ein Denkmal für Familie Cohen, die in Osterholz-Scharmbeck in Niedersachsen gelebt hat, Verlag H. Saade, 27711 Osterholz-Scharmbeck, ISBN 3-922642-45-4, Preis 12.50 EUR
Klaus Beer ist Vorstandsmitglied der KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg