Junge Israeli werden wie Stars gefeiert

von Gerlinde Wicke-Naber
Konzert in Leonberg
Stuttgarter Zeitung, 21. Juli 2005

LEONBERG. Eine russisch-jüdische Rockband hat für drei Tage Station in Leonberg gemacht. Organisiert wurde diese interkulturelle Jugendbegegnung von Eberhard Röhm, dem Vorsitzenden der KZ-Gedenkstätteninitiative.

So ganz geheuer ist den sechs Musikern aus Haifa ihre Prominenz nicht. Sie geben Autogramme nach ihrem Konzert im Leonberger Johannes-Kepler-Gymnasium, doch alles wirkt etwas ungeübt. "Das machen wir in Deutschland das erste Mal", sagt Robert, der Saxofonist. Seit vier Jahren spielen die sechs Jungs zwischen 16 und 20 Jahren zusammen. Musik und Texte sind selbst gemacht: Songwriter und Saxofonist Maxim singt vom Glück und der Liebe, Angst und Protest. Und das alles in Russisch, der Sprache der Eltern.

Nach ihrem Konzert im Kepler-Gymnasium, bei dem sie vier Zugaben spielen müssen, stellen sich die jungen Musiker dem Gespräch mit den Zwölftklässlern. Zimmer Nummer sechs heißt die Band, doch die Organisatoren wollten für die vom Denkendorfer Kreis für christlich-jüdische Begegnung finanzierte Reise lieber einen symbolträchtigen Namen und tauften die Gruppe kurzerhand in Misikun lesikuj um - was "vom Risiko zur Chance" bedeutet und die Musiker nicht unbedingt erfreute.
Sie erzählen den Gleichaltrigen in Leonberg von ihrem Alltag in Haifa, der geprägt sei von ständiger Angst vor Terroranschlägen. Vor fünf, sechs Jahren sind die Jungs mit ihren Familien nach Israel eingewandert. Ihre Probleme in Haifa ähneln denen junger Aussiedler hier zu Lande.

Hart seien die ersten Jahre gewesen, sagt der 16-jährige Robert. "Ich habe die Sprache nicht verstanden und hatte keine Freunde." Wie Robert erging es vielen Jugendlichen, die in den neunziger Jahren mit ihren Familien nach Israel einwanderten. Um die Jugendlichen von der Straße zu holen, gründete der frühere Physikprofessor Oleg Brik - er begleitet die Rockband in Deutschland - vor sechs Jahren die Association for Sport in the North. Mit Sport- und Musikangeboten soll Jugendlichen eine sinnvolle Beschäftigung gegeben werden. Im Moment besuchen 350 junge Leute zwischen 14 und 18 Jahren das täglich 14 Stunden geöffnete Zentrum in Haifa. Auch die junge Band hat ihren Platz im Club gefunden.

Noch immer fühlen sich die sechs mehr als Russen denn als Israeli. Doch das dürfte sich bald ändern. Denn vor allem der zwei- bis dreijährige Militärdienst, den alle jungen Israeli ableisten müssen, hat offensichtlich integrativen Charakter. Dies bestätigt der Endzwanziger Arkady Aidlin, auch er ist vor zehn Jahren aus Russland eingewandert. "Während der Militärzeit habe ich die wichtigsten Erfahrungen meines Lebens gemacht. Heute fühle ich mich ganz als Israeli."

Die Leonberger Schüler interessiert vor allem die Palästinenserfrage. Da ergreift Hilda Pistiner, die 67-jährige Sozialarbeiterin im Jugendzentrum Haifa, das Wort. Sie vertritt eine radikale Position: Zu Kompromissen mit den Arabern sei sie nicht bereit, kritische Fragen der Schüler wiegelt sie ab. Verständlich wird ihre Haltung, als sie aus ihrem Leben erzählt. Als Kind kam die Holocaust-Überlebende 1948 allein ins damalige Palästina. Sämtliche Auseinandersetzungen um das Land hat sie mitgemacht. "Wir lassen uns nicht mehr vertreiben", sagt sie.


zurück