Keine braunen Strukturen bei der Polizei

von Sven Hahn
Clemens Binninger trifft bei seinem Vortrag über den NSU-Untersuchungsausschuss auf Misstrauern. Viele Zuhörer glauben nicht daran, dass eine Verkettung dummer Zufälle hinter den Ermittlungspannen im Fall des NSU-Terrors steckt.
Leonberger Kreiszeitung, 4. Februar 2013

Voller Stolz spricht Clemens Binninger über seine Arbeit im NSU-Aus-Schuss. „Wir haben viel erreicht" sagt er. „Die Obleute haben sich in die Hand versprochen, auch unangenehme Fragen zu stellen. Egal, wem das nicht gefallen mag." Der Böblinger CDU-Bundestagsabgeordnete ist der Obmann seiner Fraktion im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags.

Die KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg hatte ihn am Freitagabend eingeladen, über seine Arbeit zu berichten. Die rund 70 Zuhörer in der Steinturnhalle teilen Binningers Stolz nur selten. Dem ehemaligen Polizisten schlägt eine gehörige Portion Misstrauen entgegen.

Zwei Fragen ziehen sich durch Binningers Vortrag: „Wieso wurde der rechtsextreme Hintergrund der Morde, Sprengstoffattentate und Banküberfälle nicht erkannt? Warum gingen die Behörden immer von organisierter Kriminalität aus?" Die Laufbahn des Terror-Trios beginnt 1994. Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt schließen sich in der Thüringer Neonazi-Szene zusammen.

Drei Jahre später beginnen die drei damit, Bomben zu bauen. Der Verfassungsschütz ermittelt. In einer Garage werden 1,4 Kilogramm hochexplosives TNT gefunden. Die Fahndung bleibt erfolglos und wird wenige Jahre später aufgrund eines Fehlers eingestellt. EineListe mit Adressen aus ganz Deutschland wird von den Ermittlern schlicht ignoriert. „Heute liest sich dieses Papier wie eine Landkarte der Taten", sagt Binninger. Die drei werden nie gefasst, zwischen 2000 und 2008 ermorden die drei neun Einwanderer und eine Polizistin, dazu kommen zahlreiche weitere schwere Verbrechen. Eine Serie von Pannen - oder wie Binninger sagt „Merkwürdigkeiten" - zieht sich wie ein roter Faden durch die Ermittlungen; 2006 schlägt der NSU in einem Internetkaffee in Kassel zu.

„30 Sekunden vor dem Mord verlässt ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes das Lokal. Bei ihm werden später Waffen und eine Abschrift von Hitlers ,Mein Kampf’ gefunden", berichtet Binninger und fügt hinzu: „Das bietet natürlich Stoff für Verschwörungstheorien." Dem Mann konnte laut dem CDU-Obmann keinerlei Beteiligung an der Tat nachgewissen werden. „Auch das ist Rechtsstaat. Das müssen wir akzeptieren."

Das Publikum in Leonberg tut sich mit dem Akzeptieren dieser Pannen nicht so leicht: „Ich kann nicht glauben, dass das alles nur Zufälle waren. Denken Sie doch nur an die Vernichtung von Akten", gibt ein Zuhörer zu bedenken. Tatsächlich wurden nach Bekanntwerden der Hintergründe Akten zum NSU beim Verfassungsschutz geschreddert. „Der Gruppenführer der Polizistin, die in Heilbronn ermordet wurde, war Mitglied des rechtsextremen Ku-Klux-Klans", führt der Zuhörer weiter aus. Angesichts der Masse an „Merkwürdigkeiten" sind viele im Publikum überzeugt: „Das kann nicht alles Zufall sein." Der Vorwurf von braunen Strukturen bei Verfassungsschutz, Polizei und den Kriminalämtern wird immer wieder laut.

Binninger, der selbst 23 Jahre bei der Polizei war, kann das jedoch nicht hinnehmen: „Man kann den Behörden nicht diesen pauschalen Vorwurf machen", entgegnet er, „ dazu fehlen belastbare Hinweise." Binninger ist ei sich nach all seiner Ermittlungsarbeit im Ausschuss sicher: „Es gibt keine braunen Strukturen bei der Polizei." Doch Binninger ist nicht nur nach Leonberg gekommen, um über die Pannenserie bei den NSU-Ermittlungen zu berichten. „Wir werden im September einen Abschlussbericht vorlegen", sagt er, „die ersten Lehren aus meiner Arbeit will ich Ihnen schon heute mitteilen.

"Die frühe Festlegung der Ermittler auf das kriminelle Milieu sei falsch gewesen, folgert er. Und noch eine Konsequenz zieht der CDU-Politiker: „Ich bin absolut dafür, dass man versucht, die rechtsextreme NPD zu verbieten. Die Bundesregierung sollte sich dieser Forderung anschließen."


Kommentar
Auf Dauer wachsam bleiben - von Sven Hahn

NSU-Aufklärung. Wenn keine braunen Strukturen in den Sicherheitsbehörden existieren ist der Umkehrschluss noch weitaus allarmierender.

Zehn Morde, dazu Sprengstoffattentate und Banküberfälle. Eine Kurzbilanz des Nazi-Terrors, den im heutigen Deutschland niemand für möglich hielt. Begünstigt wurden die Verbrechen des NSU von einer schier endlosen Pannenserie im Rahmen der Ermittlungen. Clemens Binninger, Mitglied im Untersuchungsausschusses des Bundestags, ist sich sicher: Hinter dem Versagen der Ermittler verbergen sich keine rechten Strukturen bei Polizei und Verfassungsschutz. Allerdings ist der Umkehrschluss mindestens ebenso alarmierend.

Wenn das Versagen der Ermittler nicht einer braunen Struktur geschuldet ist, die bekämpft werden könnte, bleiben als Erklärung für die Pannenserie noch Unwille, Unfähigkeit, schlechte Kommunikation und Zufall. Die Mordserie der Neonazis hat das ganze Land aufgeschreckt.

Die Sensibilität in puncto Rechtsextremismus ist derzeit so hoch wie lange nicht mehr. Doch auch bei jedem noch so schockierenden Thema lässt die Sensibilität mit der Zeit wieder nach. Unser aller Aufgabe ist es daher, beim Problem des Rechtsextremismus auf Dauer wachsam zu bleiben.


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