Kunst als ein Beitrag gegen das Vergessen
von Stefan Bolz
Leonberger Kreiszeitung, 24. Juni 2003
LEONBERG - Seine Bilder sind zugleich düster und doch farbenfroh. Für Moshe Neufeld kein Gegensatz - in seiner Erinnerung hat auch das Grauen der Konzentrationslager seine Farben. Heute Abend wird im Theater im Spitalhof die erste Ausstellung seiner Werke in Leonberg offiziell eröffnet.
Eigentlich wollte Moshe Neufeld Deutschland nie wieder betreten. Zu tief sitzt der Schmerz in dem heute 77-Jährigen, der in Auschwitz seine ganze Familie verloren hat. Insgesamt sechs Konzentrationslager hat er überlebt - darunter auch das KZ Leonberg, in das er im Winter 1944 bereits schwer krank gebracht wurde.
Noch vor zwei Jahren schlug der Maler, der im Kibbuz Barkai in Israel lebt, eine Einladung nach Leonberg deshalb aus. Ein Kontakt kam dennoch zu Stande. Denn die Leonberger Geschichtswerkstatt war bei der Recherche zu ihrem Buch "Konzentrationslager und Zwangsarbeit in Leonberg" auf Moshe Neufeld gestoßen. Der Leonberger Zeev Goldreich und seine Frau Ruth Tewes besuchten ihn in Israel - und hatten bei ihrer Rückkehr nicht nur die Eindrücke von einem Gespräch mit einem interessanten Menschen, sondern auch Fotos von seinen Bildern im Gepäck.
"Wir waren sofort von der Bedeutung dieser Bilder überzeugt, welche die Verarbeitung des Holocaust-Überlebens widerspiegeln", beschreibt Eberhard Röhm, Vorsitzender der Leonberger KZ-Gedenkstätteninitiative, die ersten Eindrücke. Es entstand die Idee, eine Ausstellung zu organisieren. Zudem flog auch der Stuttgarter Filmemacher Vaclav Reischl nach Israel, um Moshe Neufeld für ein Filmprojekt der Initiative zu interviewen. In diesem sollten die ehemaligen Zwangsarbeiter aus der Rüstungsfabrik im alten Engelbergtunnel zu Wort kommen.
Das anhaltende Interesse an seiner Kunst war es dann wohl, was Moshe Neufeld doch noch dazu bewegte, nach Deutschland zu kommen. "Es gibt auf dieser Welt so viele Menschen, die einen Schlussstrich unter den Holocaust ziehen wollen. Viele tun sogar so, als hätte es ihn nie gegeben. Mir ist einfach klar geworden, dass ich mit meiner Kunst einen Beitrag gegen das Vergessen und Verdrängen leisten kann", beschreibt der Maler seine Motivation.
Gemeinsam mit seiner Frau Sara und seiner Tochter Rachel ist er nun für eine Woche in Leonberg. Gestern besuchte er gemeinsam mit Ruth Tewes, Zeev Goldreich und Eberhard Röhm das Stadtmuseum, wo 28 seiner Bilder ab heute Abend zu sehen sind. Etwa ein Drittel davon sind jene Werke, in denen er sich mit seinen Erlebnissen in den Todeslagern und auf den Todesmärschen auseinander setzt. "Ich habe dafür nie eine Skizze gezeichnet. Alles habe ich genau so als Erinnerung im Kopf", sagt Neufeld. Seine anderen Bilder zeigen seine neue Heimat Israel oder sind freie Studien.
Heute Abend wird die Ausstellung um 19 Uhr im Theater im Spitalhof offiziell eröffnet. Dabei ist auch der neue Film der KZ-Gedenkstätteninitiative erstmals zu sehen. In ihm stehen Moshe Neufeld und sein künstlerisches Schaffen im Mittelpunkt. Er wurde als zweiter Film nach "Überlebende des KZ Leonberg" aus dem Material von Vaclav Reischl produziert und trägt den Titel "Allein bin ich geblieben im Leben".