LkZ-Serie über das KZ Leonberg, Teil 4: Albert Montal
15-Jähriger im Leonberger KZ -
Der Lager-Zahnarzt rettete ihm das Leben
19.02.2025 - 19:36 Uhr
Montal war 15 Jahre als, als er ins Leonberger KZ-Außenlager kam. Foto: privat
Der Franzose Albert Montal war einer der jüngsten Häftlinge im KZ-Außenlager Leonberg. Vor der schweren Arbeit im Engelbergtunnel gerettet hat ihn wahrscheinlich die Güte eines anderen.
Sophia Herzog
Es ist Dezember 1944, Weihnachten: Der 15-Jährige Albert Montal muss in der Nachtschicht arbeiten in den alten Autobahntunneln unter dem Leonberger Engelberg, einem Außenlager des KZs Natzweiler-Struthof. Die Kapos essen gut an diesem Heiligabend, sie trinken auch etwas, vergessen den Appell und jagen die Gefangenen unter Knüppelschlägen zur Arbeit. In der Pause, die Albert Montal gewährt wird, träumt er mit einem jungen Belgier von Zuhause. „Diese Heilige Nacht weckt die Erinnerungen an die Weihnachtsfeiern in unserer Familie“, wird Albert Montal 65 Jahre später aufschreiben. „Wenn ich zurückkehre, will ich solche Momente nicht mehr erleben.“
Nach Kriegsende wird Albert Montal, dann 16 Jahre alt, tatsächlich in seine französische Heimatstadt Charmes an der Mosel zurückkehren. Und auch nach Leonberg soll ihn das Leben wieder führen – nicht als Gefangener, sondern als Zeitzeuge, Freund und treuer Unterstützer der KZ-Gedenkstätteninitiative. Bis zu seinem Tod im Jahr 2017 ist er immer wieder mit Schulklassen und anderen ehemaligen Häftlingen zu Besuch im alten Autobahntunnel unter dem Engelberg. „Albert Montal ist eines der lebendigsten Beispiele des grauenhaften Geschehens im KZ-Außenlager Leonberg“, berichtet der Mitbegründer der KZ-Gedenkstätte Eberhard Röhm heute. „Für mich war seine Geschichte deshalb so eindrucksvoll, weil er einer der jüngsten Häftlinge war.“ Und, weil der 15-Jährige im KZ einen Schutzengel hatte.
„Wir sind verloren“
Albert Montal ist zehn Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg über Europa hereinbricht. Sein Heimatort Charmes in Lothringen wird bald von den Nationalsozialisten annektiert. Im September 1944, einem Tag vor der Befreiung durch die Amerikaner, wird die Stadt in der Auseinandersetzung zwischen Widerstandskämpfern und abziehenden Deutschen zerstört, 150 Männer in Lastwagen verschleppt. Zu ihnen gehören auch Albert Montal und sein Bruder Fernand. Über Umwege werden sie nach Dachau gebracht. Beim Anblick des Lagers habe der Bruder „Wir sind verloren“ gesagt, schreibt Montal später. Die Häftlinge bekommen eine Nummer, Montal hat die 113857.
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Ende November wird der Bruder mit anderen Häftlingen abtransportiert, nach Auschwitz, wie Albert Montal später erfahren soll. Wenige Tage später verlässt der 15-jährige Montal das Dachauer Lager in Richtung Leonberg. Hier schlafen die Häftlinge in Räumen, deren Fenster keine Scheiben haben, mit kleinen Decken. Unter schwersten Bedingungen sind die Häftlinge gezwungen, in den Tunnelröhren unter dem Engelberg Flugzeugteile zu fertigen. „Wir sind abgemagert, dieser Hunger verlässt uns nie“, schreibt Montal. „Ich weiß, dass ich es unter diesen Bedingungen nicht lange aushalten werde.“
Der Zahnarzt wird zum großen Bruder
Seine Rettung: Einer der Mithäftlinge, ein Franzose namens Marcel Lasseron, ist Zahnarzt und sucht einen französischen Assistenten. Mit Albert Montal begutachtet er fortan die Gebisse der Deportierten, spürt Goldzähne auf und erfasst sie in Registern. Gibt es einen Todesfall, müssen der Zahnarzt und sein Assistent die Zähne ausreißen und den SS-Leuten aushändigen.
Für Albert Montal ist das eine Erlösung – er muss nicht mehr in den Tunneln schuften. Marcel Lasseron, ein Pariser Widerstandskämpfer, versteckt und pflegt den 15-Jährigen sogar, als dieser an Typhus erkrankt – einer Diagnose, mit der im KZ-Außenlager Leonberg nicht viele überleben. „Er wurde so etwas wie ein großer Bruder für mich“, schreibt Montal später über seinen Freund. „Er beschützte mich und rettete mir ganz bestimmt das Leben.“
Ein integraler Teil der Erinnerungsarbeit in Leonberg
Bis April harren Montal und Lasseron aus, dann wird das Leonberger Außenlager evakuiert. Auf Todesmärschen werden die Häftlinge nach Bayern getrieben. Montal kann flüchten – und kehrt im Mai schließlich nach Frankreich zurück. Sein Bruder ist in Auschwitz und der Verlobte seiner Schwester in Dachau umgekommen, wird er dort erfahren. Die Mutter stirbt ein Jahr später an ihrem Kummer. Und der Zahnarzt? Er überlebt.
Montal im Jahr 2005, bei der Einweihung der Namenswand vor der KZ-Gedenkstätte. Foto: Karin Mueller
Albert Montal wird in den Jahren nach dem Krieg studieren, heiraten, eine Tochter adoptieren und eine Fabrik mit 70 Mitarbeitern leiten. Die KZ-Gedenkstätte wird er prägen – bei fast jeder Führung wird dort noch heute seine Geschichte erzählt. Das Leben von Albert Montal ist 2014 außerdem zentrales Thema eines Theaterstücks des Gerlinger Robert-Bosch-Gymnasiums. Seine kurze Biografie, die er für seine Enkelin verfasst hat, übersetzt ein Französischkurs. „Indem ich vor jungen Schülerinnen und Schülern von diesen Gräueln Zeugnis ablege, lade ich sie ein, gegen die Gleichgültigkeit zu widerstehen und keine Indoktrination zu akzeptieren, weil diese oft zur Diktatur führt“, heißt es darin. „Das wiederum bedeutet den Verlust der Freiheit, also der Demokratie, und dann kann sich die Geschichte eines Tages wiederholen.“
80 Jahre Ende KZ Leonberg
KZ-Außenlager Leonberg
Von April 1944 bis April 1945 waren im Leonberger Arbeitslager rund 5000 Häftlinge untergebracht. Die Häftlinge mussten im alten Engelbergtunnel für die Augsburger Firma Messerschmitt arbeiten. 389 Häftlinge starben in Leonberg, viele weitere kamen in Sterbelagern, anderen Lagern oder auf der Fahrt dorthin ums Leben.
Reihe
In mehreren Beiträgen wollen wir bis April – 80 Jahre nach dem Ende des Lagers – auf das dunkelste Kapitel der Leonberger Stadtgeschichte blicken. Im ersten Beitrag ging es um den Mitbegründer der KZ-Gedenkstätte, Eberhard Röhm, der viele historische Werke zum Leonberger Außenlager veröffentlicht hat und eine Datenbank mit den Namen der KZ-Häftlinge führt. In den weiteren Beiträgen kommen Hinterbliebene von ehemaligen KZ-Häftlingen zu Wort und erinnern sich an ihre Angehörigen und ihre Zeit in Leonberg. Zum Schluss begleiten wir eine Schulklasse auf dem Weg der Erinnerung in Leonberg.