Bis vor 80 Jahren gab es ein KZ-Außenlager in Leonberg. Der Franzose François Dahlmann wird 1944 verhaftet, heute vor 80 Jahren gibt es die letzten Hinweise zu ihm.
LkZ-Serie über das KZ Leonberg, Teil 5: François Dahlmann

François Dahlmann wird am Sonntag, 11. Juni 1944, als 20-Jähriger in seiner Heimat in Trieux, im Nordosten Frankreichs von der Gestapo festgenommen. Er winkt seiner Mutter und seiner Schwester noch aus dem Auto ein letztes Mal zu, dann fahren die SS-Leute mit ihm davon. Kurze Zeit später kommt er über Dachau und Natzweiler ins Leonberger Außenlager, bis er schließlich todkrank in Bergen-Belsen landet. Heute vor 80 Jahren verliert sich schließlich seine Spur.
„François war ein schöner, fröhlicher und kräftiger Junge“, erzählt Jean-Marie Henning über den Onkel seiner Ehefrau Cosette. Henning ist 71 Jahre alt und lebt mit seiner Ehefrau Cosette, wie auch ihr Onkel damals, im Elsass. Henning spricht im Gegensatz zu seiner Frau deutsch, für das Gespräch haben sie sich gemeinsam vorbereitet, sagt er. Cosettes Mutter ist die letzte von Dahlmanns Geschwistern, die noch nicht gestorben ist. Sie lebt heute mit 93 Jahren in einem Altersheim im Westen Frankreichs.
Ihr Onkel, François Dahlmann, wächst als Sohn französischer Eltern im Elsass im Nordosten Frankreichs mit zehn weiteren Geschwistern auf. Er geht in Trieux zur Grundschule, arbeitet danach dort als Zugführer im Eisenbergwerk, so erzählt Henning. Warum er festgenommen wurde? „Wir vermuten heute, weil er Briefe und Päckchen mit seinem Fahrrad in die freie Zone brachte“, sagt Henning. Dahlmann hat also von der NS abgefangene Briefe an ihre eigentlichen Empfänger ausgehändigt. „Das ist die einzige Erklärung, die wir haben.“
Dahlmann kommt zuerst ins Gestapogefängnis in Briey, wird nach Nancy verlegt und am 19. August 1944 mit dem Zug ins Konzentrationslager Natzweiler im Elsass gebracht. Dort bleibt er bis Anfang September, dann wird er nach Dachau verfrachtet, wo er bis Ende des Monats bleibt. Zwischenzeitlich verbringt er auch einige Tage im Arbeitslager Augsburg-Pfersee und arbeitet dort für die Messerschmitt-Werke.
Wie Eberhard Röhm von der KZ-Gedenkstätte dokumentiert, kommt Dahlmann schließlich am 2. Oktober in Leonberg an und wird, wie die anderen Häftlinge auch, im Lager im Engelbergtunnel zur Produktion der Tragflächen der Me 262 eingesetzt.
Doch Dahlmann geht es immer schlechter, wegen des wenigen Essens, der schlimmen hygienischen Verhältnisse, der unmenschlichen Arbeitsbedingungen. Am 11. März 1945 wird er mit vielen weiteren Hundert Häftlingen nach Bergen-Belsen gebracht, um zu sterben. „Auf den Dokumenten, die wir haben, steht etwas von einer Lungenentzündung.“ Und dann verliert sich seine Spur. „Vermutlich ist er bei dem Chaos, das damals im KZ herrschte, gestorben“, sagt Henning.
Die Familie erfährt 2016 vom Verbleib FranÇois – wegen eines Schreibfehlers
1979 beginnen Henning und seine Frau, Informationen über den Verbleib ihres Onkels zu suchen. Doch es fehlt an Unterlagen, sie müssen die Suche erst einmal abbrechen. Sie stellen Anfragen ans Europäische Zentrum der deportierten Widerstandskämpfer in Natzweiler und ans Archiv der Opfer zeitgenössischer Konflikte in Caen, Frankreich. „Anfang 2016 haben wir dann von Eberhard Röhm erfahren, dass Dahlmann unter dem falsch geschriebenen Nachnamen ‚Dalmans’ in Leonberg war“, erzählt Henning. „Wir haben dann an das KZ Bergen-Belsen und das Arolsen Archiv geschrieben, die uns bestätigt haben, dass Francois am 11. März nach Bergen-Belsen kam.“ Nur eines konnten sie nicht finden, sagt Henning – und zwar sein Grab: „Wir haben die Hoffnung inzwischen aufgegeben“, sagt Henning.
„François Dahlmann, sein kurzes Leben und sein Schicksal sind bis in die letzten Jahre immer ein Thema geblieben in der Familie“, sagt Henning. François behalte immer einen Ehrenplatz im Familienstammbaum. Er sagt aber auch, dass die Erinnerung nun nach und nach verblasse, „wir werden nicht jünger und bald lebt niemand mehr.“
80 Jahre Ende KZ Leonberg
KZ-Außenlager Leonberg
Von April 1944 bis April 1945 waren im Leonberger Arbeitslager rund 5000 Häftlinge untergebracht. Die Häftlinge mussten im alten Engelbergtunnel für die Augsburger Firma Messerschmitt arbeiten. 389 Häftlinge starben in Leonberg, viele weitere kamen in Sterbelagern, anderen Lagern oder auf der Fahrt dahin ums Leben.
LKZ-Reihe
In mehreren Beiträgen wollen wir bis April – 80 Jahre nach dem Ende des Lagers – auf das dunkelste Kapitel der Leonberger Stadtgeschichte blicken. Im ersten Beitrag geht es um den Mitbegründer der KZ-Gedenkstätte, Eberhard Röhm, der viele historische Werke zum Leonberger Außenlager veröffentlicht hat und eine Datenbank mit den Namen der KZ-Häftlinge führt. In den weiteren Beiträgen kommen Hinterbliebene von ehemaligen KZ-Häftlingen zu Wort und erinnern sich an ihre Angehörigen und ihre Zeit in Leonberg. Zum Schluss begleiten wir eine Schulklasse auf dem Weg der Erinnerung in Leonberg.