Macht und Pracht

Die KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg lädt am Tag des Offenen Denkmals, Sonntag 10. September 2017, ab 14 Uhr zum Besuch in den alten Engelbergtunel ein.

In einer fortlaufenden PowerPointPräsentation wird über die Geschichte des Engelbergtunnels von 1934 bis heute informiert. Mitglieder der KZ-Gedenkstätteninitiave stehen für Fragen zur Verfügung.

Wenn wir uns am „Tag des offenen Denkmals“ unter dem diesjährigen Motto „Macht und Pracht“ an den alten Engelbergtunnel erinnern, muss seine Entstehungsgeschichte vor der eigentlichen Planung betrachtet werden. Der Nationalsozialismus wollte in der Architektur die Größe des deutschen Volkes sichtbar machen - und vor allem seine eigene Größe. Adolf Hitler: „Wenn Völker große Zeiten innerlich erleben, so gestalten sie diese Zeiten auch äußerlich. Ihr Wort ist dann überzeugender als das gesprochene. Es ist das Wort aus Stein!“ Noch heute, nach Bombardierung und Abrisswahn, zeigen sich unterschiedlichste Bauwerke des Nationalsozialismus in ganz Deutschland: zum Beispiel Flughafen Berlin-Tempelhof, Klosterabtei Münsterschwarzach bei Würzburg, Olympia-Stadion in Berlin, Auswärtiges Amt in Berlin (ehemalige Reichsbank), Seebad Prora auf Rügen, „Haus der Deutschen Kunst“ in München, Saarländisches Staatstheater in Saarbrücken, Freilichtbühne Loreley.

 Die Nazi-Architektur war jedoch keine Ansammlung von mehr oder weniger zufälligen Solitärbauten, sondern hatte immer das „Große und Ganze“ im Blick: über die jeweilige Bau- und  Stadtplanung hinaus entstand ein reichsweites Netz architektonischer Bedeutungsträger: monumentale Parteibauten, riesige Wohnblöcke, SS-Ordensburgen und moderne Industriebauten. Ideologisch brachte Hitlers Architekt und späterer Rüstungsminister Albert Speer das Ziel, nämlich die völkische Gestaltung des Raums, präzise auf den Punkt: „Es kommt der Tag, an dem man von gestalteten Plätzen zu gestalteten Räumen übergehen wird. Das zentrale Element zur Strukturierung des gesamten Lebensraumes ist das Bauwerk, das sich über das ganze Reich legt, das Netz der Reichsautobahn“.

 „Macht und Pracht“: Das also ist das ideologische Konzept für den Bau des Engelbergtunnels. Er wurde ganz im Sinne der von Speer formulierten „Strukturierung des gesamten Lebensraums“ geplant - nur so ist erklärbar, dass es ihn überhaupt gibt. Denn der Tunnel- und Autobahnbau hatte das propagandistische Ziel, bei der Strukturierung des Lebensraums den Volksgenossen zu belehren und einzubeziehen: Aus den Bauwerken sollte er Selbstbewusstsein und Zuversicht schöpfen, die Standorte ihm die Schönheit der Heimat vermitteln. So ist es logisch, dass hinter der Weströhre (Richtung Stuttgart) und hinter der Oströhre (Richtung Heilbronn) des Engelbergtunnels je ein großzügiger Rast- und Erholungsplatz zum Verweilen geschaffen wurde: hier sollte der Volksgenosse, in Porsches KdF-Volkswagen unterwegs, die Kraft und die Macht des Nationalsozialismus erkennen und sich als sein Bestandteil mit Stolz über die Pracht seines völkischen Heimatraums erfreuen.

Es ist kein verkehrstechnisch-logischer Grund für den Tunnelbau zu finden, man hätte die Reichsautobahn auch leicht ebenerdig um den Engelberg-Gebirgssporn herumführen können – zumal im diktatorischen Nazisystem.

So wurde aus der Absicht der Nationalsozialisten eine Plage bis heute: der neue Engelbergbasistunnel folgt 60 Meter tiefer weitgehend der Streckenführung des alten Tunnels, wobei die Lösung der seit den siebziger Jahren zunehmenden Verkehrsprobleme bei der Planung des „neuen“ Engelbergtunnels im Vordergrund standen. Zaghafte Überlegungen zu einem Neubau der Autobahn westlich von Leonberg verschwanden 1973 in den Schubladen des Bundesverkehrsministeriums; man fürchtete die Einsprüche der Gemeinden, die sich in einer „Autobahn-Schutzgemeinschaft Strohgäu“ zusammengeschlossen hatten. Stattdessen wurde die fehlerhafte Engelberg-Trassenführung der Nazis mit der Entscheidung für einen Engelberg-Basistunnels zementiert und den Leonberger Bürgern unter der harmlosen Beschreibung „stadtnahe Autobahnplanung“ verkauft.


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