Ostern 1944 kamen die ersten KZ-Häftlinge

von Arnold Einholz
Die Gedenkstätteninitiative erinnert an das unermessliche Leid, das fast 5000 Menschen widerfahren ist.
Leonberger Kreiszeitung, 8. April 2014

Der 10. April 1944: ein Ostersonntag. Das vierte Kriegsostern im vorletzten Kriegsjahr. 935 in Mantua und Verona verhaftete italienische Juden werden nach Auschwitz verschleppt. Nach der „Selektion" werden 154 Männer und 80 Frauen als Häftlinge registriert; 692 Menschen werden in den Gaskammern getötet. Die Rote Armee befreit die Stadt Odessa am Schwarzen Meer von der deutschen Besatzung, die dort ihren Nachschubhafen für die auf der Krim stationierte 17. deutschrumänische Armee hatte.

10. April 1944: ein erster Transport von Häftlingen erreicht den Bahnhof Leonberg. Sie sind die ersten von insgesamt etwa 5000 Menschen, die im Laufe des einen ‚Jahres, in dem das KZ-Leonberg existierte, hierher kamen. Aller Wahrscheinlichkeit nach waren es 298 Männer, die in Leonberg ausstiegen. Der Transport kam von den Augsburger KZ-Außenlagern Haunstetten und Gablingen. Im Transport waren 167 Russen, 74 Polen, 49 Deutsche, 29 Jugoslawen, 22 Franzosen, 22 Italiener, zwölf Tschechen, fünf Griechen, drei Belgier, drei Holländer, zwei Albaner, zwei Serben, ein Spanier und sieben „Zigeuner".

Der Jüngste war gerade mal 15, der Älteste 63. Haunstetten und Gablingen waren wie Leonberg ebenfalls Luftfahrt-Rüstungsstandorte der Flugzeugfirma Messerschmitt. Beide oberirdischen Fabriken sowie die daneben errichteten KZ-Baracken wurden im April 1944 bei Luftangriffen zerstört. Und die hier anlaufende Unter-Tage-Produktion des Düsenjägers Me 262 hatte zudem höchste Priorität.

Diese beiden KZs bei Augsburg waren für viele Häftlinge nicht die ersten. Häufig hatten sie schon eine Odyssee durch mehrere Lager hinter sich. Wer als arbeitsfähig galt, wurde in Eisenbahnwaggons verfrachtet und abtransportiert. In der Regel erfuhren sie es erst an Ort und Stelle von Mithäftlingen. Leonberg, das war damals eine kleine Stadt mit etwa 8000 Einwohnern. Und einem nagelneuen Autobahntunnel - dem ersten Reichsautobahntunnel überhaupt. Erste Begegnungen mit fremden Arbeitskräften hatte es hier bereits gegeben. So gab es schon seit 1940 einige polnische Landarbeiter, von 1941 an dann auch erste französische Kriegsgefangene sowie Zivilarbeiter und ab 1942 dann auch sowjetische Zwangsarbeiter.

Aber insgesamt waren es bis Ende 1943 doch nicht mehr als 300 ausländische Arbeiter. Bereits im März hatte es hektische Vorbereitungen für das Montagewerk im Tunnel gegeben, denn schon Anfang des Jahres war wegen der massiven Zerstörungen der kriegswichtigen Rüstungsproduktion durch die Alliierten im Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion entschieden worden, die deutschen Flugzeugfabriken in den Untergrund zu verlegen. Und hier bot sich der neu erbaute Engelbergtunnel als idealer Standort an. Was hier im frühen Frühjahr 1944 geschah, unterlag allerdings größter Geheimhaltung. Keine Zeitung durfte darüber berichten. Nur die höchsten Vertreter der Kreis- und Kommunalbehörden, die Polizei und die Parteiorgane, waren informiert.

„Die Leonberger Bürger hingegen tappten zunächst im Dunkeln", weiß die Vorsitzende der Leonberger KZ-Gedenkstätteninitiative, Marei Drassdo, aus den Recherchen der Initiative. Was hatte die Absperrung des Tunnels und der oberen Seestraße zu bedeuten? Allmählich sickerte durch, dass im Tunnel eine Produktionsstätte der Firma Messerschmitt eingerichtet wurde. „Erst langsam wurde klar, dass diese verwahrlosten, ausgemergelten und daher unsympathisch wirkenden Gestalten als Zwangsarbeiter in der sogenannten Schokoladenfabrik arbeiten mussten", so Drassdo.

Die ersten Häftlinge mussten die Unterkünfte errichten und stellten die Baracken des alten Lagers auf, das für rund 800 Menschen ausgelegt war. Bereits am 15. Mai waren 652 Häftlinge untergebracht. Die Produktion der Tragflächen, die im Juli 1944 aufgenommen wurde, erforderte Schlafstätten für beinahe die vierfache Zahl der Menschen, die im alten Lager Platz hatten. Im Herbst wurde das neue Lager für rund 3000 Häftlinge errichtet - aber nur 1500 Schlafplätze, die sich die Tagschicht mit der Nachtschicht teilen musste.

„Wie lange diese 525 Häftlinge der ersten Stunde in Leonberg geblieben sind, weiß man nicht, denn es gibt bis auf wenige Ausnahmen keine namentlichen Abgangslisten", so die Vorsitzende der KZ-Gedenkstätteninitiative. Aber so viel ist bekannt: 18 erlagen in Leonberg ihren Krankheiten, elf starben nach Überführung ins Sterbelager Vaihingen/Enz, sieben nachweislich nach Überführung in andere Lager, insgesamt waren es also 36. Hinzu kommen weitere 33 Namen dieser ersten Häftlinge, die gegen Ende des Krieges sterbenskrank noch ins Lager Bergen-Belsen transportiert wurden und von denen vermutlich kaum einer mit dem Leben davonkam.

Von diesen 525 Häftlingen haben bis März 1945, als das KZ aufgelöst wurde, knapp 70 die unmenschlichen Bedingungen, denen sie ausgesetzt waren, nicht überlebt. „Die, die auf dem Blosenberg verscharrt und jetzt auf dem Friedhof Seestraße begraben liegen, sind hier noch nicht mitgezählt", so Drassdo. Nicht mitgezählt worden seien auch diejenigen, die am Ende auf den Todesmarsch geschickt wurden, denn diese Zahlen seien nicht bekannt.

GEDENKFEIER FÜR DIE OPFER

70 Jahre Eine Gedenkfeier "70 Jahre KZ in Leonberg" findet am Donnerstag, 10. April, an der Gedenkstätte beim alten Engelbergtunnel von 18 Uhr an statt. Musikalisch wird sie umrahmt von Simon Enz (Flöte), Alexander Nolte (Guitarre) sowie Schülern der Gymnasien. Geschichte Den geschichtlichen Aspekt zum Anlass der Gedenkfeier erläutert Marei Drassdo. Schüler desASG präsentieren Biografien von Häftlingen des Transportes vom 10. April 1944.

An der Feier wirken der katholische Pfarrer Damian Bednarek und die evangelische Pfarrerin Elilsabeth Nitschke mit. Um 18.45 Uhr gehen die Gäste gemeinsam in die Blosenbergkirche, wo das Totengedenkbuch geöffnet und von Frowin Junker erläutert wird. Über die Rezeptionsgeschichte des KZ spricht Eberhard Röhm, der Ehrenvorsitzende der Gedenkstätteninitiative.


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