Rundbrief KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg Mai 2006

Liebe Mitglieder und an der KZ-Gedenkstätte Leonberg Interessierte,

mit großem Bedauern müssen wir Ihnen vom Tod eines ehemaligen KZ-Häftlings berichten:
Radoslav Švagelj aus Slowenien, mit dem wir sehr verbunden waren, ist am 20. April verstorben.

Zum Gedenken an Radoslav Švagelj

Am 20. April erreichte uns die Nachricht, dass Radoslav Švagelj am Nachmittag desselben Tages im Alter von 84 Jahren verstorben war. Zwei Tage später wurde er in seiner Heimat in Slowenien zu Grabe getragen.
Wir trauern mit seiner Frau Ana und seiner ganzen Familie um einen guten Freund,
zu dem er inzwischen für uns geworden ist. Im Namen des Vorstands und der ganzen Initiative haben Klaus Beer und ich als Vorsitzender der Familie unsere von Herzen kommende Anteilnahme zum Ausdruck gebracht.
Radoslav (Rado) Švagelj ist am 16. Januar 1922 in Stanjel geboren. Sein Geburtsort liegt in dem 1920 zu Italien geschlagenen Teil des heutigen Slowenien.
Wie sein Freund Julij Logar war er im Zweiten Weltkrieg Soldat in der italienischen Armee. Nach der Kapitulation Italiens 1943 und der Besetzung seiner Heimat durch die Deutschen wurde Radoslav Švaglj von slowenischen Partisanen rekrutiert. Am 3. November 1944 wurde er von den Deutschen verhaftet und mit demselben Transport wie Julij Logar über Dachau nach Leonberg deportiert, wo die beiden am 31. Dezember 1944 auf offenen Lastwagen ankamen.
Radoslav Švagelj arbeitete im Leonberger Tunnel am Ende der Produktionskette.
Er überlebte zusammen in einer Gruppe mit Julij Logar und Riccardo Goruppi den Todesmarsch im April/Mai 1945 nach Bayern. Nachdem auf ihren Güterzug ein Tieffliegerangriff erfolgt war, flohen sie. Sie versorgten sich mit Lebensmitteln
und Kleidern aus einem stehen gebliebenen, halb zerstörten Versorgungszug und versteckten sich in einem nahe gelegenen Wald, bis sie von den Amerikanern befreit wurden.
Radoslav Švagelj kehrte in seine Heimat Komen zurück und gründete dort eine Familie. Mit Julij Logar wie auch mit Riccardo Goruppi und Aldo Gregorin pflegte er all die Jahre eine enge Freundschaft.
Im Oktober 2000 fand die erste Begegnung mit Radoslav Švagelj durch zwei Mitglieder der Geschichtswerkstatt, Birgit Wörner und Volger Kucher, zusammen mit unserer Übersetzerin Silvija Kaucic in Slowenien statt. Ihr folgten Besuche des Ehepaars Švagelj in Leonberg im Oktober 2001 und Gegenbesuche von Linde und Klaus Beer
in Slowenien. Zuletzt sahen wir uns bei der Feier zur Einweihung der Namenswand am 8. Mai letzten Jahres. Radoslav Švagelj kam mit seiner ganzen Familie, mit seiner Frau, seinen beiden Söhnen, den Schwiegertöchtern und dem Enkelsohn.
Zwei Fotos halten die Erinnerung an ihn bei uns wach: Er steht in Gedanken vor der Namenswand vor seinem Namen und wir sehen ihn zusammen mit seinem Freund
Julij Logar und der ganzen Familie vor dem Tunneleingang.

Wir bewahren Radoslav ein gutes Gedenken.


Zu den folgenden Veranstaltungen möchten wir Sie ganz herzlich einladen.

1. Am Montag, 22. Mai 2006, 19.30 Uhr, hält Dr. Mark Spoerer, Privatdozent an der Universität Hohenheim, einen Vortrag zum Thema „Zwangsarbeit in der Region Stuttgart“.
Ort: Edith-Stein-Haus, Gerlinger Straße 71 (Ramtel).
2. Die geplante Fahrt mit privaten Autos zur neu errichteten Gedenkstätte Natzweiler-Struthof im Elsass sowie nach Senones findet nur eintägig, am Samstag, 27. Mai, statt. Interessierte sollten sich rasch melden. (Näheres Seite 3)
3. Mitgliederversammlung am Montag, 12. Juni 2006, im Samariterstift:
Begegnung mit dem 82-jährigen ehemaligen Leonberger KZ-Häftling Eric Spicer aus Australien, der an diesem Tag zum ersten Mal wieder nach Leonberg kommt.

Von einem zurückliegenden Ereignis möchten wir Sie ebenfalls unterrichten:
Am 1. April besuchte uns aus La Spezia der ehemalige KZ-Häftling Fusco Godani. Herr Godani, der aus gesundheitlichen Gründen an der Einweihung der Namenswand nicht teil-nehmen konnte, war seit Kriegsende das erste Mal wieder in Leonberg. Einen Kurzbericht hierzu finden Sie auf der letzten Seite.


Vortrag, Montag, 22. Mai 2006, 19.30 Uhr, im Edith-Stein-Haus, Gerlinger Straße 71 (Ramtel)

Dr. Mark Spoerer, Privatdozent an der Uni Hohenheim
Zwangsarbeit unter den Nazis in der Region Stuttgart

Dr. Mark Spoerer ist ein ausgesprochener Experte für das Thema.
2001 erschien in der renommierten Deutschen Verlagsanstalt sein Buch „Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz“, die erste Gesamtdarstellung zur Zwangsarbeit im Dritten Reich. Auch in Leonberg gab es im Krieg nicht nur die zur Zwangsarbeit gezwungenen KZ-Häftlinge, sondern auch die 200 Gestapo-Häftlinge im Arbeitserziehungslager in der „Kaserne“ in der Gartenstadt, ebenso hunderte sog. Fremdarbeiter aus vielen Ländern, die in der Land- und Forstwirtschaft und in Betrieben, die mehr oder weniger mit der Messerschmitt-Produktion in Zusammenhang standen. Wir versprechen uns von einem wirklichen Kenner Aufklärung und zwar nicht nur über Leonberg, sondern die gesamte Region.


Samstag, 27. Mai 2006 (nur eintägig!) in Privatautos

Fahrt nach Natzweiler (neues Museum) und Senones (Frankreich)

Die Fahrt nach Natzweiler-Struthof (Elsass) findet nicht wie geplant mit Übernachtung, sondern nur eintägig statt.
Wir fahren etwa um 8 Uhr in Leonberg los, sodass wir um 11 Uhr am Eingang des Museums auf dem Struthof sind. (Bei freier Fahrt ist man in zwei Stunden da.) Wir besuchen das im November letzten Jahres neu eröffnete imposante „Europäische Zentrum des deportierten Widerstandskämpfers“ („Le Centre européen du résistant déporté“). Anschließend betrachten wir in der sog. Museumsbaracke auf dem Gelände des ehemaligen KZ Natzweiler-Struthof die ebenfalls neu aufgebaute Ausstellung zum KZ Natzweiler mit den Außenlagern. In dieser Ausstellung wird auch auf das Außenlager in Leonberg in Bild und Wort eingegangen. In einer Vitrine befinden sich zusätzlich Exponate aus Leonberg (Nieten aus der Messerschmitt-Produktion).

Anschließend fahren wir noch nach dem 30 Minuten entfernten Senones und zum
„Tal der Tränen“. In diesem Ort lebt der ehemalige Leonberger KZ-Häftling Claude Brignon, der von seinen vielen Besuchen in Leonberg den meisten von uns bekannt sein wird. Aus dieser Gegend wurden allein 24 Männer nach Leonberg verschleppt. Nur 8 von ihnen überlebten.

Die ursprünglich im Anschluss geplante Fahrt nach Charmes im Moseltal muss verschoben werden, da der dort wohnende Albert Montal verreist sein wird und uns nicht empfangen kann. Wir fahren darum am Samstag Abend wieder zurück.

Da Gruppenbesuche in Natzweiler wegen des großen Besucherinteresses lange vorher angemeldet werden müssen, bitten wir neu Entschlossene um rasche Anmeldung bei Eberhard Röhm per Fax, E-Mail oder auch per Telefon (siehe Briefkopf).


Montag, 12. Juni 2006, 19.00 Uhr Atrium Samariterstift, Seestraße 80

Mitgliederversammlung mit Erstbegegnung
mit dem ehemaligen Leonberger KZ-Häftling Eric Spicer
aus Australien

Was immer wieder unwahrscheinlich für uns klingt, trifft am 12. Juni ein.
Der 82-jährige Eric Spicer, auf unserer Namenswand heißt er Emerich Spitzer, hat sich aus Australien bei uns gemeldet.
Nach der Shoa änderte er seinen Namen in Eric Spicer.. Auf Einladung einer Bekannten, die
den Kontakt zu uns vermittelte, weilt Herr Spicer im Juni in Wien und kommt am 12. Juni zum ersten Mal nach 61 Jahren wieder nach Leonberg.

Eric Spicer stammt aus Budapest. Er ist einer der vielen ungarischen Juden, die im letzten Kriegsjahr zum Arbeitseinsatz nach Deutschland verschleppt wurden. Über Dachau kam er mit einem Transport am 3. Dezember 1944 nach Leonberg. Seine Peiniger gaben ihm die Häftlingsnummer 39465.
Emmerich Spitzer, alias Eric Spicer, erlebte im April/Mai 1945 den furchtbaren Todesmarsch von Leonberg nach Bayern.
Nach seiner Befreiung durch die Amerikaner wohnte er eine Zeit lang zusammen mit vielen anderen KZ-Häftlingen in einem DP-Lager in Feldafing am Starnberger See. Dort lernte er,
wie er mir am Telefon in Jiddisch sagte, seine Frau, eine ungarische Jüdin, kennen.
Nach einem Zwischenaufenthalt in Paris wanderte er 1949 nach Australien aus. Die beiden bekamen zwei Kinder. Seine Frau starb sehr früh. Heute lebt Eric Spicer an der Goldküste in Queensland/Australien.

Am 12. Juni haben wir die Möglichkeit, ihn kennen zu lernen. Er freut sich schon sehr auf die Begegnung mit uns.


Kurzbericht zum Besuch von Herrn Fusco Godani in Leonberg

Am 1. April besuchte uns zum ersten Mal Herr Fusco Godani aus La Spezia (Hafenstadt an
der Ligurischen Küste südlich von Cinque Terre). Er wurde von Angehörigen ehemaliger
KZ-Häftlinge sowie 12 Schülern und des Schulleiters des dortigen Gymnasiums begleitet.
Die Gruppe hatte in den Tagen vorher die Lager in Bozen, Dachau und Flossenbürg besichtigt.
Da ein Kontakt zu Schülern gewünscht war, nahm Frau Calzolari-Mothes mit 8 Schülern des Johannes-Kepler-Gymnasiums an dem Treffen teil. Herr OB Schuler empfing unsere Gäste. Anschließend besuchten wir das Grab auf dem Friedhof Seestraße und gingen auf dem Weg der Erinnerung zum Mahnmal. Herrn Godani, der seit dem Krieg nicht mehr in Leonberg gewesen war, kostete es sichtlich Überwindung, den Tunnel wieder zu betreten. Dort zeigte er die Stelle, an der er gearbeitet hatte.
Beim Mittagessen, das wir im Gemeindesaal der evangelisch-methodistischen Kirche in Leonberg vorbereitet hatten, meinte Herr Godani dann, er sei froh, dass er nach Leonberg gekommen sei.


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