Rundbrief KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg Oktober 2008
Nachruf auf Jan Steursma (9. Mai 1924 – 29. September 2008)
Jan Steursma aus den Niederlanden, ehemaliger Gestapohäftling in Leonberg, ist tot. Von seiner Frau Grietje Steuersma-Faber erhielten wir die Nachricht, dass er am 29. September 2008 nach langer Krankheit in Visvliet verstorben ist. Wir nehmen Anteil an der Trauer seiner Frau und seiner ganzen Familie.
Im Dezember 2000 hatte ich zum ersten Mal Kontakt aufgenommen mit ihm, nachdem Frau Marga Pepping, die Tochter seines Freundes Berend Pepping, mich auf ihn aufmerksam gemacht hatte. Nur einmal war es ihm möglich, uns in Leonberg zusammen mit seinem Schwiegersohn zu besuchen aus Anlass der Präsentation des Buches über das KZ und die Zwangsarbeit in Leonberg im Oktober 2001. Danach erlaubten die nachlassenden Kräfte es nicht mehr, unseren weiteren Einladungen zu folgen. Doch der briefliche Kontakt über seine Frau blieb erhalten.
Jan Steursma kam im Juli 1944 mit den andern etwa 180 Gestapo-Häftlingen aus den Niederlanden nach Leonberg und war in der so genannten „Kaserne“ in der Rutesheimer Straße untergebracht. Täglich mussten sie unter Polizeibewachung in militärischen Marschkolonnen durch Leonberg zur Arbeitsstelle ziehen. Jan Steursma war verhaftet worden, weil er in Holland untergetaucht war und so sich der Verschleppung zur Zwangsarbeit in Deutschland entziehen wollte. Doch er wurde von der Polizei entdeckt und von der Gestapo in das Leonberger Arbeitserziehungslager verbracht. Die holländischen Gestapo-Häftlinge wurden meist zu Bauarbeiten im Zusammenhang des Ausbaus des Engelbergtunnels zu einer Messerschmitt-Fabrik eingesetzt. Jan Steursma scheint auch eine Zeit lang im Tunnel gearbeitet zu haben, wie er mir schrieb. Es war eine schwere Arbeit und die Ernährung war elend. Ab Januar 1945 waren die Gestapo-Häftlinge wegen Typhus mehrere Wochen in Quarantäne gehalten. Kurz vor Ende des Krieges floh Jan Steursma zusammen mit einem befreundeten Mithäftling. Vier Wochen lang konnten sie sich in einem Steinbruch im Schwarzwald verstecken, bis sie von französischen Truppen befreit wurden.
In der Namenswand vor dem alten Engelbergtunnel ist der Name Jan Steursma festgehalten. So behält die KZ-Gedenkstätteninitiative ihn zusammen mit den vielen anderen bleibend in Erinnerung.
Eberhard Röhm für die KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg e.V.
Dienstag, 4. November 2008, 19.30 Uhr
Ort: Konferenzraum der vhs, Neuköllner Straße 3 (neben dem Leo-Center)
Vortrag von Klaus Beer:
Der Ulmer Prozess - SS-Einsatzgruppen vor Gericht
Klaus Beer, Richter im Ruhestand in Leonberg und Mitglied des Vorstands der KZ-Gedenkstätteninitiative, präsentiert den Film von Eduard Erne über den Ulmer Judenmord-Prozess im Jahre 1958. Er erscheint darin als Zeitzeuge des Prozesses. Anschließend wird über alles diskutiert, Meinungen werden ausgetauscht. Es geht um den Tiefpunkt der total verunglückten deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert und darum, wie die Deutschen damit umgingen. Die SS-Einsatz-gruppen begannen 1941 im Zuge der Invasion in die Sowjetunion mit der „Endlösung der Judenfrage“. Sie führten Massenerschießungen durch und setzten später auch mobile Gaswagen ein.
Eine Veranstaltung der Volkshochschule Leonberg in Zusammenarbeit mit der KZ-Gedenkstätten-initiative.
Teilnehmergebühr: 4 EUR
Dienstag, 11. November 2008, 19.30 Uhr
Ort: Haus der Begegnung
Vortrag von Meinhard Tenné:
Vorsitzender der Integrationskommission des Zentralrats der Juden
Ein Leben im Rückblick auf den 9. November
Das Bestreben von Meinhardt Tenné war und ist das Miteinander statt das Gegeneinander und die Gesprächsbereitschaft zwischen Religionen und Ethnien zu fördern und den Dialog als auch den Trialog zur Normalität werden zu lassen. Nur durch das Kennen lernen und das Verständnis für den Anderen kann es zum Verständnis und Händereichen kommen. Sein Credo: Da keiner etwas dafür kann, wo er geboren wurde, wie er aussieht, welche Religion und Nationalität er hat und in welche Gesellschaftsschicht er hinein geboren wurde, sollten wir uns gegenseitig verstehen lernen und auch lernen, uns so wie wir sind zu akzeptieren - im Bewusstsein - dass wir alle Geschöpfe des EINEN sind. In Zusammenarbeit mit der Evang. Erwachsenenbildung.
Meinhardt Tenné ist Mitbegründer, Vorstandsmitglied und jüdischer Sprecher des "Haus Abraham" e.V.
Eine Veranstaltung der Evangelischen Erwachsenbildung gemeinsam mit der Volkshochschule und der KZ-Gedenkstätteninitiative.
Eintritt frei. Es wird um eine Spende gebeten.
Verfolgung jüdischer Künstler in Stuttgart
(Hinweis auf Broschüre und Stadtführung)
Aus Anlass der Ausstellung „Verstummte Stimmen“ in der Staatsoper Stuttgart und im Haus der Geschichte Baden-Württemberg erschien eine informationsreiche, gut bebilderte Broschüre, an der unser Vereinsmitglied Ingrid Bauz (Mitautorin des Buches „KZ und Zwangsarbeit in Leonberg“) aktiv mitgewirkt hat:
Ingrid Bauz, Sigrid Brüggemann, Roland Maier:
„'Sie brauchen nicht mehr zu kommen!' Die Verdrängung der Künstlerinnen und Künstler jüdischen Glaubens und jüdischer Abstammung aus dem Stuttgarter Theater- und Musikleben durch die Nationalsozialisten“.
76 Seiten, mit vielen Fotos, Format A 4, 8 € zuzüglich Versandkosten (Bezug s. unten)
In mehreren Einzelbeiträgen beleuchtet die Neuerscheinung verschiedene Aspekte der Verdrängung der „Juden“ von den Stuttgarter Bühnen. Grundlage der Studien bilden eingehende archivalische Recherchen der vier AutorInnen, die teils aus musikwissenschaftlicher, teils aus stadthistorischer oder geschichtspolitischer Sicht seit Jahren mit dem Thema der nationalsozialistischen Verfolgung jüdischer Menschen befasst sind. Die Publikation wird der Öffentlichkeit druckfrisch vorgelegt.
Einen Schwerpunkt der Broschüre bilden die damaligen Vorgänge an den Württembergischen Staatstheatern: die antisemitische „Begleitmusik“ im Vorfeld der nationalsozialistischen Machtübernahme sowie die dann folgende Ausschaltung der „nichtarischen“ Mitglieder des Schauspiels und der Oper. Erweitert wird die Publikation durch Beiträge über das Stuttgarter Schauspielhaus, das Musikkonservatorium um Karl Adler, den Rundfunk und das Friedrichsbau-Varieté. Sie alle hatten die Stuttgarter Kulturlandschaft mit geprägt. Auch hier erfolgte die Entfernung der „jüdischen“ Akteure durch die Nationalsozialisten umgehend.
Ein Beitrag befasst sich mit der bisher wenig beachteten „Stuttgarter Jüdischen Kunstgemeinschaft“, die sich als Antwort der jüdischstämmigen Künstlerinnen und Künstler auf ihre Ausschaltung aus dem „arischen“ Kulturbetrieb verstand und bis zu ihrem Verbot 1938 eine wichtige Rolle in der bedrängten Jüdischen Gemeinde spielte.
Ein ausführlicher Biographienteil erschließt persönliche Schicksale von Kunstschaffenden, die als „jüdisch“ oder „jüdisch versippt“ galten.
Die beiden letzten Beiträge widmen sich der Remigration und der Vergangenheitspolitik nach 1945. Es wird gezeigt, in welch geringem Umfang emigrierte Kulturschaffende nach Stuttgart zurückkehrten. Und es wird gefragt, ob es eine Bereitschaft seitens der Staatstheater gab, sich mit ihrer Rolle im Nationalsozialismus auseinanderzusetzen und ob es Gesten gab, die auf einen Willen zur „Wiedergutmachung“ schließen lassen.
Bezug für 8 EUR:
Mauthausen Komitee Stuttgart e.V., Römerkastell 73 A, 70376 Stuttgart
Kontoverbindung: Stuttgarter Volksbank BLZ 600 901 00, Konto-Nr. 27 65 24 004
Die Broschüre wird außerdem im Staatstheater und im Haus der Geschichte verkauft
19. Oktober 2008, 14 Uhr
Treffpunkt Rotebühlplatz (Haupteingang VHS)
Stadtrundgang „Orte verstummter Stimmen“ in der Stuttgarter Innenstadt
Ein Spaziergang auf den Spuren jüdischen Kulturschaffens
Zur Ausstellung „Verstummte Stimmen“, die seit dem 5. Oktober 2008 in der Staatsoper Stuttgart und im Haus der Geschichte Baden-Württemberg gezeigt wird, werden in der Stuttgarter Innenstadt in einem Rundgang vergessene oder verdrängte Stätten jüdischen Schaffens aufgesucht. Der Rundgang basiert auf den historischen Recherchen der Broschüre „Sie brauchen nicht mehr zu kommen!“