Seit 40 Jahren gibt es ein Grabmal für die KZ-Opfer - aber bis heute bleiben sie anonym
von Monica Mather
Leonberger Kreiszeitung, Donnerstag, 1. August 2002
In einer Zeit aufgestellt, als Vergangenheitsbewältigung noch ein Fremdwort war, lässt das Grabmal für die Leonberger KZ-Opfer im Friedhof Seestraße kaum die Dimension des Leidens erahnen, an das der einsame Stein erinnern soll.
Wären da nicht noch Bürger, die den Krieg und die Nachkriegszeit bewusst erlebt haben, und wäre da nicht ein Hinweis auf der Tafel des "Weges der Erinnerung'', niemand wüsste, wer eigentlich in dem großen Grab in einer hinteren Ecke des Friedhofs Seestraße ruht. Der Grabstein sagt darüber kaum etwas aus.
Das 162 Quadratmeter große Grab, etwa 50 Meter rechter Hand vom hinteren Friedhofseingang entfernt, wurde 1962 mit einem Grabmal versehen. Es besteht aus einer Schrift- und Bildtafel. In Blickrichtung des Friedhofsbesuchers steht die Bildtafel auf die der Konstanzer Bildhauer Adolf Schmid nach seinen Worten die Osterbotschaft als "Sieg des Geistes über die irdische Gewalt'' dargestellt hat. Auf der Rückseite findet sich der erläuternde Text: "389 Söhne vieler Völker Europas ruhen hier. Opfer der Gewaltherrschaft in dunkler Zeit. Ihr Tod mahnt uns alle, das Rechte zu tun, dem Unrecht zu wehren und Gott in seinen Geschöpfen zu ehren.''
Dass es sich bei den Opfern um Tote handelt, die 1953 vom so genannten KZ-Friedhof Blosenberg hierher umgebettet wurden, kann dieser Inschrift niemand entnehmen, das Wort Konzentrationslager beziehungsweise KZ wird vermieden. Auch den Begriff NS-Regime oder Nazi-Herrschaft sucht man vergebens. Er wird durch die Formulierung "Gewaltherrschaft in dunkler Zeit'' ersetzt. Verwirrend ist auch die Unterzeile der Steininschrift "1939-1945''. Tatsächlich bestand das KZ in Leonberg von 1944 bis 1945, und es ruhen nur KZ-Tote in dem Grab. Was den Mitarbeiter des Volksbundes Deutscher Volksgräberfürsorge dazu bewogen hat, den Text, den er übrigens im Auftrag der Stadt Leonberg entwarf, so zu formulieren, ist unschwer nachzuvollziehen.
Im Jahre 1962 war Vergangenheitsbewältigung noch ein Fremdwort. Mit einem kurzen Bildbericht hat die Leonberger Kreiszeitung am 9. November 1962 ihre Leser über den Gedenkstein auf dem Friedhof Seestraße informiert. Berichtet wurde, dass der französische Generalkonsul Robert Faure dort vor wenigen Tagen einen Kranz niedergelegt habe. Es handle sich um ein Mahnmal, das den Opfern des KZ-Arbeitslagers Leonberg zum ehrenden Gedenken auf dem Sammelgrab im Friedhof der Kreisstadt aufgestellt worden sei. Einen Bericht von der Übergabe des Grabmals gab es nicht, anscheinend wollte sich keine offizielle deutsche Stelle mit einer Einweihung befassen.
Über das Grab selbst existiert die Notiz eines städtischen Beamten, die besagt, dass sich die Gebeine der 1953 exhumierten KZ-Toten in kleinen Kästen befinden. "Auf oder in diesen Kästen sind Marken mit Nummern angebracht. In einem Kasten befinden sich vermutlich die Gebeine von zwei Verstorbenen... Da bei früheren Umbettungen ein Arzt anhand der Gebeine und des Schädels die Identität eines Verstorbenen erst feststellen musste, ist anzunehmen, dass die Gebeine der Verstorbenen namentlich noch nicht festgestellt sind. Die Kästen sind beim Mahnmal nebeneinander begraben.''
Irreführend an dem Grabstein ist die Zahl 389. Bekanntlich ruhten auf dem Blosenberg "nur'' 373 Tote. Rechnet man aber die ersten 16 Opfer des KZ hinzu, die im Krematorium des Stuttgarter Pragfriedhofs eingeäschert wurden, so erklärt sich diese Zahl. Tatsächlich ruhen aber in dem Sammelgrab nicht nur 16 Tote weniger, da ihre Urnen in Stuttgart und anderwärts beigesetzt wurden, sondern die Gebeine von weiteren 36 Toten fehlen ebenfalls. Sie wurden nämlich an andere Orte überführt: zehn Franzosen nach Frankreich, zwei Holländer ebenfalls in ihre Heimat und 24 Italiener auf den Waldfriedhof in München. Bei der letzten Ruhestätte im Münchener Waldfriedhof handelt es sich um einen italienischen Militärfriedhof, in dem insgesamt 1778 Soldaten des Ersten Weltkrieges und 1460 Verstorbene des Zweiten Weltkriegs bestattet wurden. Die von Leonberg Überführten haben hier mit einer Ausnahme (Giuseppe Zamar) ihre letzte Ruhe gefunden.
Analog zu den anderen Kriegsgräberstätten ist in München jeder Bestattungsplatz mit einem eigenen Namensstein gekennzeichnet. Diese namentliche Kennzeichnung der Toten vermissen die Betroffenen in Leonberg schmerzlich, wie ehemalige Häftlinge bei ihren Besuchen klagten. Aus diesem Grund haben der ehemalige Gefangene Riccardo Goruppi für seinen im KZ verstorbenen Vater und der Bruder des verstorbenen Häftlings Roger Coillet schon vor Jahren Gedächtnistafeln am Grab aufgestellt.
Es würde mit Sicherheit dankbar aufgenommen und als eine Art nachträgliche Wiedergutmachung angesehen, wenn die Stadt die 337 Toten, die tatsächlich in dem Grab ruhen, durch eine informierende Tafel mit Nennung der 243 bekannten Namen ehren würde. Schließlich pflegt sie auf dem Friedhof auch sechs Ausländer-Einzelgräber, deren verwitterte, aber noch lesbare Grabsteine sich in Abteilung 1 und 3 befinden. Es handelt sich bei den Verstorbenen vermutlich um Zwangsarbeiter, als Sterbedatum werden die Jahre 1943 bis 1946 genannt.