Spurensuche auf dem Weg der Erinnerung
von Stefan Bolz
Leonberger Kreiszeitung, 27. Mai 2002
Warm ist es an diesem Sonntagnachmittag, warm und sonnig. Eigentlich ein Wetter zum Wandern, zum Baden, zum Fröhlichsein. Und doch schauen die 44 Teilnehmer an der ersten "Stadtführung auf den Spuren des Konzentrationslagers Leonberg'' recht ernst. Zu bedrückend ist das Thema, mit dem Renate Stäbler von der KZ-Gedenkstätteninitiative die Besucher konfrontiert.
Schon an der ersten Station des "Weges der Erinnerung'' in der Seestraße werden die Bilder aus der Vergangenheit lebendig. "Hier sind sie vorbeigegangen, die schwankenden Elendsgestalten, auf dem Weg vom Bahnhof in das Lager'', erzählt Renate Stäbler den Teilnehmern. Eine deutsch-amerikanische Familie ist dabei, ihr Besuch aus den Staaten bekommt leise eine englische Übersetzung. Beklemmung macht sich breit, besonders vor dem Mahnmal auf dem Friedhof. Hier liegen die Gebeine von 337 Menschen. Zwischen 15 und 57 Jahre waren sie alt, als sie starben - "geschwächt von Typhus und Fleckfieber, ausgezehrt von Hunger und unmenschlich harter Arbeit'', wie Renate Stäbler berichtet. Der Text auf dem Gedenkstein neben ihrem Grab ist wohlmeinend. Und verschleiert doch die Wirklichkeit: Kein Wort steht da von KZ und NS-Zeit, von den wahren Umständen des massenhaften Mordens.
Wieder zurück auf der Seestraße erinnern sich manche der Älteren an die Zeit während des Krieges. Auf Höhe des Hauses Seestraße 55 stand damals ein Schlagbaum, dahinter breiteten sich Wiesen aus. Nur der Kreisleiter der NSDAP hatte dort sein Haus im Grünen - mit Ausblick auf das Barackenlager der Häftlinge, die droben im Tunnel unter dem Engelberg schuften mussten. Und mit Blick auf den Galgen, an dem mindestens zwei, vermutlich aber mehr Gefangene für Fluchtversuche und andere "Vergehen'' mit dem Leben bezahlen mussten.
Drüben in der Blosenbergkirche erinnern ein kleines Mahnmal und ein Buch mit den Namen der Opfer an den Schrecken jener Tage. Nach der Nachmittagssonne ist der Kirchenraum angenehm kühl. Dennoch fröstelt mancher, als die stellvertretende Vorsitzende der KZ-Gedenkstätteninitiative von den Qualen der Menschen erzählt: "Die Verantwortlichen hatten erschreckend wenig Verantwortungsbewusstsein. So wurde eine Desinfektionsbaracke viel zu spät fertig. Seuchen brachen aus, die leicht auch auf die Bevölkerung hätten übergreifen können.'' Ob denn die Täter nach dem Krieg zur Rechenschaft gezogen worden seien, will eine ältere Dame wissen. Die Antwort ernüchtert. "Es gab nur sieben oder acht Verurteilungen, der Betriebsleiter von Messerschmitt kam mit nicht einmal fünf Jahren davon'', weiß Renate Stäbler zu berichten.
Weiter geht es die Seestraße hinauf, bis zum Eingang der alten Tunnelröhre. Ein kalter Hauch weht aus dem Loch im Berg, vor dem die letzte Station des Gedenkpfades an die Arbeitsbedingungen erinnert. Auf zwei Ebenen schufteten die Menschen damals, eingehüllt in giftige Dämpfe, ohne richtige Lüftung, ohne Heizung, bei infernalischem Lärm. Die Teilnehmer gehen hinein in die Dunkelheit, lassen stumm den ungastlichen Ort auf sich wirken. Kein schöner Moment für einen Sommernachmittag. Und doch sagt der Amerikaner zu seiner Frau: "Gut, dass es diese Führung gibt.''