Wehrlose Opfer einer kranken Ideologie

von Arnold Einholz
Leonberg. 65 Jahre nach Kriegsende sollen die Morde an Behinderten aus Leonberg aufgehellt werden.
Leonberger Kreiszeitung, 8. Mai 2010

Nicht nur an Gedenktagen, wie dem heutigen 8. Mai, da sich die Befreiung vom Nationalsozialismus zum 65. Mal jährt, schwingt beim Namen „Grafeneck“ immer auch die Mahnung mit an den Massenmord an fast 100 000 behinderten Menschen.

Vor 70 Jahren begann er in Württemberg. Als am 6. Oktober 1939 Eduard Frank, der Heimleiter im Samariterstift Grafeneck unangemeldeten hohen Besuch „vom Ministerium“ bekam, war bereits die Tötungsmaschinerie in Gang gesetzt worden. Die „Geheime Reichssache - Aktion T 4“ war angelaufen, so benannt nach der Berliner Adresse Tiergartenstraße 4, wo drei Scheingesellschaften das Morden verwalteten. Die Samariterstiftung musste die Einrichtung räumen, die Anstalt wurde aus der Liste der Heime für Behinderte gestrichen.

Die Behinderteneinrichtung im Schloss Grafeneck gehört heute wieder zur Samariterstiftung. Deshalb hat Hartmut Fritz, der Vorstandsvorsitzende der Samariterstiftung und Leonberger Alt-Dekan angeregt, dass die lokale KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg die Geschichte der Opfer speziell aus Leonberg erforscht.

Während in allen Behindertenanstalten Meldebögen eintrafen, wurde 1939 in Grafeneck unter Hochdruck umgebaut. Im Januar 1940 fuhren zum ersten Mal die berüchtigten grauen Omnibusse von Grafeneck mit ihren Listen in den Behindertenanstalten Süddeutschlands vor. Die Menschen wurden mit einer Nummer versehen und nach Grafeneck gebracht. Nach einer Untersuchung legte ein Arzt fest, welche Todesart in der vom anstaltseigenen Standesamt gefälschten Sterbeurkunde eingetragen werden könnte. In einer als Dusche getarnten Baracke kam aus den Brauseköpfen kein Wasser, sondern tödliches Gas - Kohlenmonoxid. Die Leichen wurden im Krematorium verbrannt. Die Verwandten der 10 654 allein hier Ermordeten erhielten „Trostbriefe“ zugeschickt.

Die Arbeitsgruppe hat inzwischen 17 Namen von Opfern aus Leonberg in Erfahrung gebracht. Für den Herbst sind mehrere Veranstaltungen, eine Ausstellung und ein Gedenkgottesdienst am 24. Oktober in der Stadtkirche geplant. Nachdem der Ortshistoriker Konrad Fröschle schon einmal einige Namen für Eltingen genannt hat, unter anderem Karl Krämer, Maria Kühnle, Eugen Mörk, Karoline Röckle, Hermann Scheytt und Emma Wolfangel, soll jetzt zum ersten Mal in der gesamten Stadt nach vergessenen Opfern gefragt und ihrer in würdiger Form gedacht werden.

Die sieben Männer und zehn Frauen aus Leonberg waren vor ihrer Ermordung in staatlichen und kirchlichen Heilanstalten untergebracht. Ihre Namen sind in einigen der Behinderteneinrichtungen auf Erinnerungstafeln festgehalten sowie im Erinnerungsbuch der Gedenkstätte Grafeneck.

Das Morden blieb nicht verborgen

Leonberg. Das entsetzliche Geschehen in Grafeneck hat in der Bevölkerung zu Protesten geführt.

Die Entstehung der Todesmaschinerie in Grafeneck hat Karl Morlok (1931 - 2000), der ehemalige Leiter des Leonberger Seniorenzentrums am Parksee in dem 1986 erschienenen Buch „Wo bringt ihr uns hin?“ dokumentiert. Vorausgegangen war dem Morden ein Erlass Adolf Hitlers vom 1. September 1939. Reichsleiter Philipp Bouhler und Hitlers Leibarzt Karl Brandt wurden beauftragt, die Befugnisse bestimmter Ärzte so zu erweitern, „dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischer Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann“.

Viele Persönlichkeiten, vor allem kirchliche wie der Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen, oder der württembergische Bischof Theophil Wurm protestierten gegen das Morden - aber auch Parteigenossen wie Else von Löwis, Frauenschaftsführerin und in Stuttgart auch Kulturreferentin. Die Gutsherrin auf Hofgut Mauren bei Ehningen schrieb an die Ehefrau des Obersten Richters der NSDAP, Walter Buch. Der Brief landete bei Gestapo-Chef Heinrich Himmler. Diesem wurde deutlich vor Augen geführt, dass die Bevölkerung Bescheid über die berüchtigten „grauen Busse“ wusste und Grafeneck kein Geheimnis mehr war. Himmler reagierte und im Dezember 1940 wurde Grafeneck geschlossen. Acht Monate später hat Hitler befohlen, die Euthanasie einzustellen.

Suche nach weiteren Informationen über die Opfer

Informationen. Die Arbeitsgruppe benötigt weitere Informationen. Wer kennt die Geschichte von Euthanasie-Opfern aus Leonberg? Wer stellt Schulbücher aus der Nazizeit für die geplante Ausstellung zur Verfügung, in denen die Themen „Volksgesundheit“ und „lebensunwertes Leben“ behandelt werden?

Mithilfe. Wer bei der Ausstellung helfen möchte, kann sich an Eberhard Röhm unter der Rufnummer 07152/26640 wenden. Der Arbeitgruppe gehören noch Linde und Klaus Beer, Karl Grob, Wolfgang Schiele, Hildrun Schlicke, Eberhard Schmalzried sowie die Theologen Hartmut Fritz, Eberhard Hudelmeyer und Reinhard Pfeffer an.


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