Wohin bloß mit dem fahrenden Volk?

von Regina Brinkmann
Sinti und Roma kommen jedes Jahr in die Stadt. Ihre Unterbringung bereitet Kopfzerbrechen.
Leonberger Kreiszeitung, 4. März 2014

Etliche Leonberger erinnern sich noch gut: Zweimal hat das fahrende Volk letztes Jahr in Leonberg haltgemacht. Die „Zigeuner", wie der Volksmund die Sinti und Roma politisch unkorrekt nach wie vor nennt, wurden vom Ordnungsamt in der Nähe des alten Autobahntunnels untergebracht. Jedes Jahr dieselbe Frage: wohin mit dem fahrenden Volk, wenn es für einige Tage an der Leonberger Verkehrs-Drehscheibe kampieren will?

Noch längst sind die alten Vorurteile nicht abgebaut, noch immer wird den Sinti und Roma mit Misstrauen begegnet. Jetzt beschäftigt sich die KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg mit dem Thema und entwickelt Ideen, um den schwelenden Konflikt zwischen Anwohnern und dem fahrenden Volk zu entschärfen.

Der vierte Bibliotheksnachmittag - ein Themennachmittag, den das Bibliotheks-Team der Gedenkstätteninitiative immer am ersten Sonntag des Monats veranstaltet - hat sich des Themas angenommen und mit dem ehemaligen Richter Klaus Beer einen kompetenten Vortragsredner gewonnen. Beer war während seiner richterlichen Tätigkeit als Beisitzer in der ersten Entschädigungskammer des Landgerichts Stuttgart zuständig für Berufsschäden, Vermögensschäden und Härteausgleich für Zwangssterilisierte. Er erklärte den rund zwei Dutzend Zuhörern, warum so wenige Entschädigungszahlungen für Sinti und Roma bewilligt wurden: zum Beispiel durch eine perfide Auslegung von Gesetzesvorlagen, aber auch durch Unwissenheit und Misstrauen gegenüber der Staatsgewalt. Viele Sinti und Roma seien Analphabeten, sie verstünden die deutsche Sprache nicht oder nur ein wenig und hätten wenig Chancen, ihre Ansprüche durchzusetzen.

Schluchzende Geigen

Der Vortrag wurde durch ausgewählte Musikstücke aufgelockert - schluchzende Geigen und virtuose Gitarrenklänge durchwehten die Bibliothek. Doch jeder romantische Gedanke, der bei der sinnlichen Musik hätte aufkommen können, wurde durch die realistische Darstellung des Zigeunerlebens zerstört, denn die Landfahrer führen kein einfaches Leben. Wenn die Weiler Zigeuner dieser Tage durchs Gäu fegen, wohlgenährt in bunten Kleidern, mit braun bemalten Gesichtern, schäkernd, tanzend und lachend, habe das mit der Realität der Sinti und Roma nichts zu tun, so Beer. Den Weilern sei der Spaß gegönnt, doch die Frage, wie die Gemeinden hierzulande mit dem „echten" fahrenden Volk und dessen Bedürfnis nach Rastplätzen für einige Tage umgehen, müsse gestattet sein, findet er.

Idee: Durchreiseplatz

Marei Drassdo, Vorstandsvorsitzende der KZ-Gedenkstätteninitiative, folgt einer anderen Idee. In Kehl wird seit dem Jahr 1998 für alle fahrenden Gäste ein sogenannter Durchreiseplatz zur Verfügung gestellt. Der Platz steht gegen ein festgelegtes Entgelt allen Landfahrern zur Verfügung, er ist mit Wasseranschlüssen und sanitären Anlagen ausgestattet. „Das funktioniert so gut, dass auch in Österreich an den stark befahrenen Durchreisestrecken Plätze für die ziehenden Leute, wie man sie dort nennt, eingerichtet wurden", erzählt Drassdo. Für Leonberg kann sich die Initiative einen Platz vorstellen, der allen Durchreisenden zur Verfügung gestellt werden kann. Zum Beispiel auch dem Zirkus, der ansonsten keinen Platz zum Lagern mehr in Leonberg findet.

Zu diesem Thema will die Gedenkstätteninitiative zu einer gesonderten Veranstaltung einladen, bei der auch mit Vertretern Leonbergs und mit Experten der Städte, bei denen sich das Modell etabliert hat, diskutiert werden soll. „Die Landfahrer werden jedes Jahr wiederkommen", ist Drassdo überzeugt, „und es wird jedes Jahr dieselben Diskussionen und dieselben Klagen geben. Vor diesem Hintergrund lohnt es sich doch, die Idee eines Durchreiseplatzes zu durchdenken" findet sie.


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