Rechenschaftsbericht des Vorsitzenden Eberhard Röhm vor der Mitgliederversammlung am 2. April 2003
Der Rechenschaftsbericht des Vorsitzenden soll kurz, aber auch umfassend sein. Und er sollte kritisch sein, d.h. im Sinne eines Lernprozesses auch die Vorhaben und Situationen im abgelaufenen Jahr benennen, bei denen die Erwartungen sich nicht erfüllt haben.
Es ist ein Rechenschaftsbericht für das Jahr 2002. Ich weiche jedoch im Gegensatz zum Kassenbericht vom Kalenderjahr ab, insofern ich die Wahlperiode des Vorstands vom 21. März 2002 bis heute als Berichtszeitraum zugrunde lege, wie ich dies auch im letzten Jahr schon gehandhabt habe.
Es gab zwar im abgelaufenen Jahr keine Wiederholung der eindrucksvollen Einladungen ehemaliger Häftlinge wie im Vorjahr; dennoch war es ein ereignisreiches Jahr, in dem sich einzelne ungeheuer engagiert haben, sodass zuvörderst der Dank stehen muss.
Ich sehe sechs Schwerpunkte unserer Arbeit.
1. Es fanden Gegenbesuche bei ehemaligen Häftlingen und Briefkontakte statt.
Ich stelle diesen Schwerpunkt bewusst an den Anfang, weil die Aufrechterhaltung und Vertiefung dieser Beziehungen so etwas wie das emotionale und moralische Rückgrat unserer Arbeit bleiben sollte. Es fanden Besuche in Slowenien (Ehepaar Schmalzried und Ehepaar Beer) statt, in Italien (Werner Ziegler und Irmtraud Klein), in Frankreich (Monica Mather, Renate Stäbler, Ehepaar Adler, Ingrid Bauz, Volger Kucher), in Israel (Ruth Tewes und Zeev Goldreich, sowie der Filmemacher Vaclav Reischl). Herr Reischl hat außerdem für die Initiative Kontakte geknüpft nach Tschechien und nach Polen.
Drei ehemalige Häftlinge haben je einzeln Leonberg besucht: Mordechai Nojovits am 13. Juni 2002, im September Pjotr Kudrjaschow und Willem Moerkamp, die persönlich zu Freunden geworden sind.
Das Thema Einladung von Kindern oder gar Enkeln ehemaliger Häftlinge hat der Vorstand bislang noch nicht angepackt.
2. Pläne für die Gedenkstätte in und vor dem Engelbergtunnel sind von der unter Leitung von Renate Stäbler stehenden Projektgruppe in der uns allen bekannten energischen Weise vorangebracht worden.
Die Ideen wurden in der Mitgliederversammlung am 21. Mai vorgestellt. Am 25. September wurde uns das von Holger Korsten gebaute Modell vorgestellt. Es fand eine Abstimmung statt, um den Vorstand in die Lage zu versetzen, mit einem konkreten Vorschlag an die Stadt herantreten und sich rechtzeitig in den Prozess der Stadtentwicklungsplanung einbringen zu können.
Das Modell wurde der Spitze der Stadt vorgestellt. Der Vorstand hat einen Antrag auf Gestattung zur Errichtung der einzelnen Teile der geplanten Gedenkstätte bei der Stadtverwaltung gestellt. Der Stand der Dinge ist folgender:
- Die Nutzung des Tunnels durch Firmen wie Daimler und Bosch scheint vom Tisch zu sein.
- Die von der Stadt Leonberg beauftragten Architekturbüros haben in ihren Ideenvorschlägen zur weiteren Nutzung der ehemaligen Autobahntrasse jeweils die historische Bedeutung des Tunnels und der Trasse als Ort der Erinnerung herausgestellt und z.T. auch eigene Vorschläge dazu gemacht.
- Diese Anregungen gehen in die Gruppen der Bürgerbeteiligung zur Stadtentwicklung ein. Der Gemeinderat wird sich mit dem Thema noch vor den Sommerferien in einer Klausur befassen. Der Stadtentwicklungsplan selbst wird frühestens im November vom Gemeinderat verabschiedet werden. Im Vorfeld der Entscheidungen wird der Vorstand um die nötigen Kontakte mit den Entscheidungsträgern bemüht sein, um vielleicht noch vor November eine Entscheidung des Gemeinderats in unserer Sache zu erzielen.
3. Das Filmprojekt „Überlebende des KZ Leonberg“
Sie werden sich selbst vom Film nachher einen Eindruck verschaffen. Es war das finanziell bisher aufwendigste Unternehmen der Initiative. Der Film hat uns knapp 13.000 € gekostet. Den größeren Teil der Kosten trug Herr Reischl selbst. Unser Anteil wurde voll durch vier Sponsoren finanziert, abgesehen von nachträglich eingetretenen, außergewöhnlichen Ausgaben in Höhe von 860 € für eine von uns zusätzlich gewünschte Reise zu Witold Gracz nach Danzig.
Die Herstellung war in jeder Hinsicht anstrengend, insbesondere für die den Film bei der Herstellung begleitende Dreiergruppe der Ini. Die Anstrengung hat sich jedoch nach einstimmiger Meinung des Vorstands gelohnt.
4. Laufende Informationen
Ich nenne ein ganzes Bündel an Informationen, die wir im abgelaufenen Jahr irgend wie zustande gebracht haben:
a) An erster Stelle sind die Führungen auf dem Weg der Erinnerung zu nennen. Ich schätze, dass es gut zwei Dutzend waren, wenn ich auch die von Renate Stäbler durchgeführten offiziellen Stadtführungen hinzu nehme, die es auch im laufenden Jahr wieder geben wird. Drei Besonderheiten möchte ich hervorheben:
- Die Führung eines Grundkurses Ethik Jahrgangsstufe 12 der beruflichen Gymnasien durch Eberhard Schmalzried und Renate Stäbler. Diese Schülerinnen und Schüler werden unter Anleitung ihres Lehrers Ragen Bayer und unter Mitwirkung von Manfred Pauschinger bis zum Sommer ein maßstabgetreues Modell des KZ Leonberg herstellen.
- Der Besuch der Landtagsabgeordneten Birgit Kipfer mit 50 Schülerinnen und Schülern aus ihrem Wahlkreis, hauptsächlich aus Herrenberg, am Holocaust-Gedenktag, 27. Januar. Dadurch wurde ein deutliches Anfangszeichen gesetzt, dass wir die Gedenkstätte für den gesamten Landkreis mit entsprechenden Angeboten werden sollten.
- Die Führung von Lehrerinnen und Lehrern der Ostertag-Realschule, die ein PC-Projekt zum KZ Leonberg in Planung haben, u.a. die Einrichtung einer Datenbank für Schülerinnen und Schüler zum Thema KZ in Leonberg.
b) Es haben sechs Film- und Vortragsveranstaltungen statt gefunden, zu denen wir eingeladen haben. Im Juli der Film § 175 zusammen mit dem Filmforum (9.7.), ein Vortrag von Renate Stäbler im Rahmen der Volkshochschule (10.10.), die Lesung von Klaus Beer aus seinem Buch in der Stadtbibliothek (7.11. – eine Veranstaltung der Stadtbibliothek), der Leseabend mit Thomas Felder zusammen mit der Familienbildungsstätte (26.11.), zwei Vorträge von mir vor dem ASG-Freundeskreis in der Triangel (13.11.) und zum Holocaustgedenktag (26.1.03) im Stadtmuseum.
Ich denke, die Kooperation mit ganz verschiedenen Partnern hat sich bewährt. Abgesehen von der Filmvorführung waren die Veranstaltungen zum Teil sehr gut besucht.
c) Wir haben im Sommer von Timo Deiner und Martin Riethmüller eine neue homepage eingerichtet bekommen. www.kz-gedenkstaette-leonberg.de. Reinschauen!
d) Die von Eberhard Schmalzried entworfene 40-seitige Broschüre „Weg der Erinnerung“ wurde hergestellt und steht für 2 Euro zur Verfügung.
e) Die Grafikerin Ursula Krebs hat uns ein neues Faltblatt entworfen, das sich sehen lassen kann.
5. Aktivitäten nach außen
Ich überschreibe den nächsten Komplex mit Aktivitäten nach außen.
- Für 2. Juni hatten wir zu einem Besuch der neu gebauten KZ-Gedenkstätte in Vaihingen/Enz eingeladen. Es war ein mäßige Beteiligung zu registrieren.
- Eine geplante Fahrt zur Gedenkstätte Neckarelz am 27. April musste wegen mangelndem Interesse ausfallen.
- Um so mehr Interesse fand die unter Leitung von Dr. Hartmut Fritz und mir durchgeführte Fahrt nach Auschwitz, Krakau und Prag mit 18 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Die organisatorische Vorbereitung lag bei Herrn Degen und mir. Herr Degen selbst ist nicht mitgereist. An seiner Stelle hat Prof. Grob die finanzielle Abwicklung während der Fahrt übernommen. Mir ist erst während der Vorbereitung auf die Reise voll bewusst geworden, wie eng die Biographien eines größeren Teils der Leonberger KZ-Häftlinge mit Auschwitz zusammen hängen. Für mich persönlich war diese Reise das eindrücklichste Ereignis im letzten Jahr im Zusammenhang der Gedenkstättenarbeit, sowohl was das Erleben und die Gespräche in Auschwitz als auch die Intensität in der Gruppe anbelangt. So etwas lässt sich schwer beschreiben, möglicherweise auch nicht in dieser Form wiederholen.
Wir haben mit dieser Reise ein Tor aufgestoßen. Die Evang. Erwachsenenbildung plant aufgrund dieser Erfahrung in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule für den Herbst eine Ausstellung und eine Vortragsreihe zum Thema Holocaust, an der wir auch beteiligt sein werden, und für das Jahr 2004 eine Wiederholung dieser Reise.
6. Historische Forschung
Die historische Forschung für das Leonberger KZ kann nie abgeschlossen sein.
- Am 1. August erschien in der Leonberger Kreiszeitung ein Beitrag von Monica Mather, in dem sie die Geschichte des Grabmals auf dem Friedhof Seestraße für die dort bestatteten KZ-Häftlinge beschreibt.
- Holger Korsten hatte die in einem Fischertaschenbuch neu erschienene Übersetzung eines autobiographischen Lebensberichts eines ehemaligen Leonberg-Häftlings, Coen Rood, entdeckt. Er lebt in Texas und führt heute noch dort einen Schneiderbetrieb. Ich habe Kontakt mit ihm aufgenommen. Es wäre eine Einladung fällig.
- Ingrid Bauz hat am 5./6. Oktober den ehemaligen Leonberg-Häftling Michel Didier in Frankreich aufgesucht und zusammen mit einer französischen Freundin ein Interview über seine Erinnerungen an Leonberg durchgeführt.
Ein zweites Interview führte sie ebenfalls in Frankreich durch zusammen mit Volger Kucher mit Alfred Favreau. Die beiden Interviews stehen, wenn sie transkribiert sind, für die wissenschaftliche Forschung im Stadtarchiv zur Verfügung.
Ein weiteres Interview mit Michel Fouchécourt ist in Planung.
- Zwei Studenten, die mit Holger Korsten in Verbindung stehen, haben vor, bei Prof. Epple am Lehrstuhl für „Geschichte der Naturwissenschaften und Technik“ je eine Magisterarbeit zur Me 262 zu schreiben, bei der jeweils auch die Häftlingsarbeit berücksichtigt werden soll.
7. Die Arbeit des Ini-Vorstands im engeren Sinn
Ich komme schließlich noch zur Arbeit des Ini-Vorstands im engeren Sinn.
- Es gab vier Rundbriefe im Mai, September, November und März, die Heinz Klingel jeweils verschickt hat.
- Wir haben vier Mitgliederversammlungen vorbereitet im Mai, Juni, September und Dezember, bei denen es hauptsächlich um die Gedenkstättenplanung und die Ausstellung von gesammelten Gegenständen, aber auch um das Referat von Renate Stäbler über die „Aktion Waldfest“ ging.
- Gravierend halte ich die Feststellung, dass abgesehen vom Beitritt von zwei evangelischen Teilkirchengemeinden im vergangenen Jahr nur eine Einzelperson ihre neue Mitgliedschaft erklärt hat.
- Die Initiative wurde nach außen bei der Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten in Baden-Württemberg vertreten durch mich bei einer Arbeitsgruppe zur Neugestaltung der Gedenkstätte in Natzweiler und bei der Jahresversammlung in Urach am 8./9. März, bei der wir zu viert, am 2. Tag zu fünft vertreten waren. Inzwischen ist unsere Initiative und die Gedenkstätte Leonberg auch in den neuen landesweit verbreitetenen Gedenkstättenführer aufgenommen worden.
- Schließlich haben wir uns zu sieben Vorstandsitzungen getroffen (23.4, 15.7., 9.9., 15.10., 17.11., 7.2., 20.3.).
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