Rechenschaftsbericht des Vorstands für das Jahr 2006 – vorgetragen bei der Mitgliederversammlung am 17. Januar 2007
Im Jahr 2006 waren wir vor allem mit dem beschäftigt, was uns Kontinuität verleiht, Begegnungen, Informationsveranstaltungen, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit. Darüber hinaus war es ein Jahr zum Atemholen mit Vorbereitungsarbeiten durch den Vorstand für drei nennenswerte größere Projekte, die im Jahr 2007 realisiert werden sollen.
1. Begegnungen
Das bislang wichtigste Ziel unserer Gedenkstättenarbeit war die Begegnung mit ehemaligen Häftlingen. Dies soll auch das wichtigste Ziel bleiben, solange dies überhaupt möglich ist. Wir schreiben allen ehemaligen Häftlingen und ihren Familien, von denen wir Adressen haben, zu Weihnachten und Neujahr bzw. zu Chanukka einen Gruß. Inzwischen gibt es auch eine Geburtstagsliste, die uns hilft, uns an die Geburtstage zu erinnern.
Darüber hinaus fanden im letzten Jahr auch wieder persönliche Begegnungen statt: Am 1. April war der ehemalige Leonberg-Häftling Fusco Godani zusammen mit einer Delegation aus La Spezia zum ersten Mal in Leonberg. Irmtraud Klein war ein Jahr zuvor auf seinen Namen gestoßen. Nun war er zusammen mit dem Vizepräsidenten der ANED von La Spezia, Herrn Righetti, und 12 Schülern eines Liceums samt dessen Schulleiter zu uns gekommen. Er führte Gespräche mit italienisch sprechenden Schülerinnen und Schülern des Johannes-Kepler-Gymnasiums und deren Lehrerin, Frau Calzolari-Mothes. OB Schuler empfing die Delegation. Die Führungen auf dem „Weg der Erinnerung“ hatten Werner Ziegler und Heinz Klingel übernommen. Im Juni besuchte uns der heute in Australien lebende Eric Spicer und war mehrere Tage unser Gast. Es gab eine intensive Begegnung mit Schülerinnen und Schülern des Johannes-Kepler-Gymnasiums wie mit OB Schuler. Am 12. Juni konnte auch ein größerer Kreis dem quicklebendigen Eric Spicer in einer Mitgliederversammlung begegnen.
Ruth Tewes und Zeev Goldreich-Fernbach besuchen regelmäßig während ihres Urlaubs die in Israel lebenden drei ehemaligen KZ-Häftlinge im Kibbuz Barkai, in Haifa und in Givataim, so auch in diesem Jahr.
Erfreulicherweise gab es auch zu einzelnen Familien ehemaliger Häftlinge Kontakte. Am 27. April besuchte eine Gruppe, meist Vorstandsmitglieder, die neu gestaltete KZ-Gedenkstätte Natzweiler-Struthof. Anschließend fuhren wir durch das „Tal der Tränen“ bei Senones, aus dem viele französische Häftlinge nach Leonberg verschleppt worden waren. Wir wurden von Bernard Genin, dem Sohn eines Häftlings, der im Januar 1945 in Leonberg verstorben ist, geführt und wurden anschließend noch zu einem Imbiss eingeladen. Im Anschluss daran besuchten Renate Stäbler und Monica Mather Claude Brignon, der im Tal der Tränen wohnt. Beate und Pitt Adler machten einen Abstecher zu Michel Didier.
Am 27./28. August machte das Ehepaar de Jong aus Holland auf ihrer Urlaubsreise in den Süden in Leonberg Station. Der Vater von Frau de Jong ist als KZ-Häftling in Leonberg verstorben. Irmtraud Klein, Klaus Beer und Holger Korsten haben sie betreut.
Zwei traurige Nachrichten gab es im Jahr 2006: Im April ist Radoslav Švagelj verstorben und im Oktober Paula Logar, die Frau von Julij Logar, beide lebten in Slowenien.
2. Besuch aus Sesto San Giovanni
Am 16./17. September war der Besuch einer Delegation aus Sesto San Giovanni mit einem Rahmenprogramm aus Anlass der Niederlegung einer Marmorplatte auf dem KZ-Häftlingsgrab Friedhof Seestraße. Auch diese Begegnung kam durch Vermittlung von Irmtraud Klein zustande. Am Samstag hatte unsere Initiative zu einem Besuch der neu gestalteten KZ-Gedenkstätte Vaihingen/Enz zusammen mit der italienischen Delegation eingeladen. Am Sonntagmorgen versammelten wir uns auf dem Friedhof Seestraße zu einer Gedenkfeier, bei der als Vertreter der Stadt Leonberg Erster Bürgermeister Helmut Noë sprach. Die Gitarrengruppe „Alexander und Alexander“ übernahm die musikalische Umrahmung. Der Text auf der nieder gelegten Marmortafel lautet:
„Die Sektion der ’Associazione Nazionale dei Deportati Politici nei Lager Nazisti’ (ANED) der Stadt Sesto San Giovanni gedenkt ihres Mitbürgers Giovanni Cima, der 36 Italiener und der Toten jeglicher Herkunft, welche im Lager Leonberg ums Leben kamen. Dieser Gedenkstein will die Wunden der großen Tragödie des 2. Weltkrieges nicht wieder aufreißen, sondern an das Geschehene erinnern. Wir, die Einwohner von Sesto San Giovanni, und Ihr, die Einwohner Leonbergs, sind uns einig:
‚Erinnern heißt Wissen, Wissen heißt Freiheit. Lasst uns der Erinnerung eine Zukunft geben.’“
Im Anschluss an die Feier waren die Gäste zu einem offiziellen Essen durch die Stadt Leonberg geladen.
3. Vortragsveranstaltungen und sonstige Veranstaltungen
Zum Standardprogramm unserer Initiative gehören Vortragsveranstaltungen. Am 17. Januar hatten wir zusammen mit dem Albert-Schweitzer-Gymnasium Prof. Götz Aly, einen früheren ASG-Schüler, zu einem gut besuchten Vortrag über „Hitlers Volksstaat“ eingeladen.
Am 22. Mai sprach Dr. Mark Spoerer von der Universität Hohenheim über Zwangsarbeit in der Region Stuttgart, eine gemeinsame Veranstaltung mit der katholischen Kirchengemeinde im Edith-Stein-Haus.
Am 23. Oktober waren wir zusammen mit der Volkshochschule und der Frauenbeauftragten der Stadt Leonberg beteiligt an einem Vortrag von Erika Rosenberg über Emilie Schindler.
Am 9. November veranstalteten wir zusammen mit der Evangelischen Erwachsenenbildung einen sehr gut besuchten Vortrag von Prof. Eberhard Jäckel zum Thema 9. November.
Neben den beiden schon erwähnten Exkursionen am 1. April nach Natzweiler/Senones und am 16. September nach Vaihingen/Enz ist noch der Besuch einer Filmpremiere in Herrenberg am 7. April mit dem Film „Geschützter Grünbestand“ über die Geschichte des KZ-Außenlagers Hailfingen-Tailfingen erwähnenswert.
4. Statistik zur kontinuierlichen Bildungsarbeit
Die kontinuierliche Information über das KZ Leonberg in Form von Führungen auf dem „Weg der Erinnerung“, von Vorträgen in Schulklassen und bei Erwachsenen sowie durch Einzelberatung erfassen wir jährlich in einer Statistik. Demnach gab es 27 Führungen für Gruppen und Informationsveranstaltungen in Schulen, die vor allem von Renate Stäbler, Eberhard Röhm und Heinz Klingel, aber auch von einzelnen Lehrern bzw. Schülern nach Vorbereitung durch Eberhard Röhm durchgeführt wurden. Sieben Schülerinnen und Schüler wurden von Eberhard Röhm beraten bei ihrer Vorbereitung auf Referate in der Klasse, genannt GFS („Gleichwertige Feststellung von Schülerleistungen“ in Form von Projekten bzw. Referaten). Zwei Schülerinnen wählten aufgrund ausführlicher Beratung das Thema „KZ Leonberg“ für die Präsentationsprüfung im mündlichen Abitur mit jeweils „sehr guter“ Benotung.
Es gab auch Anfragen, um außerhalb Leonbergs über das KZ-Außenlager zu berichten. Eberhard Röhm hat im Jahre 2006 drei Referate über die Geschichte des KZ Leonberg und die Arbeit der Gedenkstätteninitiative gehalten: Am 22. März in Leinfelden-Echterdingen anlässlich der Planung einer dortigen Gedenkstätte, am 29. April in Stuttgart-Frauenkopf vor einem Kreis evangelischer Theologen und am 18. Mai auf Einladung der evangelischen Kirchengemeinde Möckmühl.
5. Die Tätigkeit von Arbeitsgruppen
Zur Erinnerung: Am 25. November 2005 hatten wir uns in einer Mitgliederversammlung die Zeit genommen, in einer großen Brainstorming-Runde Themenkreise und Aufgaben für die Zukunft zu definieren. Bei der Mitgliederversammlung am 26. Januar 2006 wurden 13 Themenkreise benannt und ihnen auch Personen zugeordnet. Vier Gruppen kamen zustande und tagten mehrmals durchaus erfolgreich.
a) Die schon früher bestehende Tunnelgruppe empfahl, den alten Plan eines zweiten Moduls der Gedenkstätte beim Autobahntunnel erneut ins Auge zu fassen. Gedacht war jetzt, an den Wänden rechts und links des vorderen Tunnelteils Informationsträger anzubringen, um die Zufahrt in die Tiefe des Tunnels für Hebebühnen und desgleichen frei zu halten. Nachdem der Gemeinderat am 19. Dezember beschlossen hat, den Tunnel aus Sicherheitsgründen alsbald ganz zu verfüllen, waren wir bemüht, dass wenigstens ein Vorraum in der Tiefe von 15 bis 20 Meter für die geplante Informationsplattform frei gehalten wird. Wir konnten den Gemeinderat von unserem Konzept überzeugen. Insbesondere OB Schuler setzte sich für unseren Vorschlag ein, sodass es jetzt mehr eine Frage der Zeit sein wird, bis wann wir unsere Pläne umsetzen können. Die Feinarbeit wird diese Arbeitsgruppe noch leisten müssen. Zur Frage der Finanzierung nähere Erläuterungen weiter unten.
b) Zwei Arbeitsgruppen „Ausstellungs- und Kommunikationsraum im Samariterstift“ haben, sobald klar war, dass wir in einem Gebäude des Samariterstifts einen noch unausgebauten Raum zur Nutzung bekommen werden, ein Konzept hierfür erarbeitet. So wird, vorbehältlich dass die Verträge vollends geschlossen sind, im nächsten Jahr uns ein Raum auf dem Gelände des ehemaligen KZ zur Verfügung stehen, in dem wir eine Ausstellung mit Bildern, Exponaten und Dokumenten zur Geschichte des KZ zeigen können. Außerdem können wir unseren Besuchergruppen Filme zeigen und so die Zeitzeugen sprechen lassen. Der Arbeitsgruppe „Ausbau Raum Samariterstift“ gehörten Pitt Adler, Irmtraud Klein, Holger Korsten und Wolfgang Schiele an. Der Gruppe „Innenausstattung“ gehören Renate Stäbler, Holger Korsten, Monica Mather und Irmtraud Klein an.
c) Eine weitere Gruppe, der Gudrun Sach, Eberhard Schmalzried, Wolfgang Schiele und Eberhard Röhm angehören, haben zusammen mit Herrn Konz, dem Leiter des Stadtmuseums, einen Plan zur Neugestaltung des KZ-Raums im Stadtmuseum erarbeitet, der bei Frau Ossowski auf Wohlwollen stieß.
d) Die vierte Gruppe beschäftigte sich mit dem Thema Rechtsextremismus. Sie tagte einmal monatlich. Ihr gehörten an Klaus Beer und Martin Riethmüller vom Vorstand, sowie die Mitglieder Heinz Klingel, Marei Drassdo und Conny Renkl. Der Arbeitskreis sammelte Informationen über die rechtsextreme Szene in Leonberg, bereitete einen Brief des Vorstandes an OB Schuler vor, beriet über Verhaltensweisen für den Fall von rechtsextremen Aktionen in Leonberg und schlug eine Veranstaltung mit MdL Stefan Braun vor, die am 23. April zusammen mit der Evangelischen Erwachsenenbildung statt finden wird.
6. Anträge auf finanzielle Förderung für drei geplante Projekte waren erfolgreich
Der Vorstand hat sich im Jahr 2006 um die finanzielle Förderung von drei Projekten bemüht, die im Jahr 2007 realisiert werden sollen und die alle positiv beschieden wurden. Darin sehen wir eine außerordentliche Bestätigung unserer Konzepte und unserer Arbeit:
- Zum zweiten Mal sind wir in das kulturelle Förderprogramm der EU aufgenommen worden mit einer Fördersumme von 40.000 EURO. Der Betrag ist bestimmt für den Aufbau des zweiten Moduls der Gedenkstätte am alten Engelbergtunnel und zwar für die Einrichtung der bereits erwähnten Informationsstätte im vorderen Teil des Tunnels. Den sehr umfangreichen und zeitraubenden Antrag hat im wesentlichen Holger Korsten als Projektleiter formuliert unter Assistenz von Irmtraud Klein und juristischer Beratung von Klaus Beer.
- Von der Landesstiftung haben wir die Zusage für einen Zuschuss in Höhe von 15.000 EURO für den Ausbau und die Ausstattung des Raums im Dachgeschoss von Haus 74 des Samariterstifts. Wir stehen hier kurz vor der Vertragschließung.
- Aus Fördermitteln für die Gedenkstättenarbeit, die die Landeszentrale für politische Bildung verwaltet, haben wir die vorläufige Zusage zur Teilfinanzierung von zwei kleineren Publikationen erhalten.
Einmal wollen wir bebilderte Lebenserinnerungen von Pjotr Kudrjaschow als Broschüre veröffentlichen, die dieser während eines seiner Aufenthalte in Leonberg in russischer Sprache geschrieben hat. Der Text wurde im abgelaufenen Jahr von Maria Davydchyk und von Christina Ossowski übersetzt. Das Heft soll gemeinsam mit der Stadt Leonberg veröffentlicht werden. Die Stadt will die Hälfte der Kosten übernehmen.
Zum andern soll der bereits in der Beilage zur Böblinger Kreiszeitung in Fortsetzung erschienene Beitrag von Renate Stäbler und Monica Mather „Schwierigkeiten des Erinnerns. Über den Umgang der Leonberger mit dem KZ“ in etwas erweiterter Form als Broschüre von uns herausgebracht werden. Auch dafür liegt eine vorläufige Zusage zur Teilfinanzierung des Drucks durch die Landeszentrale für politische Bildung vor.
7. Öffentlichkeitsarbeit und Publikationen
Es sind im Jahr 2006 vier Rundbriefe erschienen, abgesehen von aktuellen E-Mail-Informationen.
Die Presse hat wieder aufmerksam unsere Arbeit begleitet. Es kamen neun, zum Teil ausführliche Vorankündigungen und Berichte in der Leonberger Kreiszeitung. Die Stuttgarter Nachrichten haben einmal über uns berichtet.
In dem von der Landeszentrale für politische Bildung herausgegebenen und im Jahr 2006 erschienenen Band 35 der Schriften zur politischen Landeskunde mit dem Titel „Orte des Gedenkens und Erinnerns in Baden-Württemberg“ ist ein Beitrag von Eberhard Röhm über die KZ-Gedenkstätte Leonberg enthalten.
In der in Göttingen erscheinenden pädagogischen Fachzeitschrift „Glaube und Lernen“ wird in Heft 1/2007 ein Aufsatz zum Thema „Erinnerungskultur am Beispiel der KZ-Gedenkstätte Leonberg“ erscheinen, ebenfalls von Eberhard Röhm verfasst.
8. Spezielle Tätigkeiten des Vorstands
Die Vorstandsmitglieder haben sich in neun Sitzungen zur Beratung und Beschlussfassung getroffen. Im Zusammenhang der geplanten Projekte für das Jahr 2007 waren umfangreiche Schriftwechsel, Verhandlungen mit der Stadtverwaltung und mit Firmen zum Einholen von Kostenvoranschlägen erforderlich.
Darüber hinaus haben einzelne Vorstandsmitglieder den Kontakt mit anderen Gedenkstätten auf der einmal im Jahr stattfindenden Landeskonferenz wie den Kontakt mit der Landeszentrale für politische Bildung wahrgenommen.
Eberhard Röhm, Vorsitzender
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