Rechenschaftsbericht des Vorstands der KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg e.V. für das Jahr 2020

Die Arbeit der KZ-Gedenkstätte im Jahr 2020 war – wie allerorts – geprägt durch eine bisher nicht vorstellbare Lähmung durch die Coronapandemie wie dem Versuch, neue Formen der Präsenz zu finden. Seit Mitte März entfielen alle Führungen mit Schülern. Auch Führungen von Erwachsenengruppen entfielen. Es gab ab diesem Zeitpunkt keine Vortragsveranstaltungen mehr. Insofern fehlen im Rechenschaftsbericht Berichte über großartige, von uns bereits geplante Ereignisse. Am schmerzlichsten für uns war, dass das insbesondere durch Marei Drassdo mit großem Engagement vorbereitete, für 9. Mai geplante 20jährige Jubiläum abgesagt werden musste. Damit fiel auch die mit Spannung erwartete Begegnung mit vielen Freunden und Angehörigen ehemaliger KZ-Häftlinge. Die Finanzierung war durch Zusagen des Landkreises und der Stadt Leonberg bereits gesichert.

1.Nur zweimal BücherCafé im ganzen Jahr

Nur zwei Mal konnte die erfahrene und bewährte Bibliotheksgruppe ein BücherCafé anbieten: Am 2. Februar war das Thema „Kinderschicksale. Bruno Apitz: Nackt unter Wölfen“. Am 1. März, dem letzten, mit 70 Personen außerordentlich gut besuchten BücherCafé, referierten Alexander Kartschall und Holger Korsten über die geheimen Produktionsstätten für die Me 262. Zum ersten Mal überhaupt erfuhren die technisch nicht so versierten Besucher wie die Produktion am Fließband im Tunnel in Leonberg vermutlich ablief – und welchen Strapazen und welcher Willkür die Häftlinge in ihren 12-Stunden-Schichten ausgeliefert waren.

Bibliothek und BücherCafé sind seit März 2020 außer Betrieb. Ob im Sama-Raum je wieder kleine Veranstaltungen stattfinden können, ist ungewiss, der Arbeitskreisbefindet sich in Auflösung.

2.Nur eine einzige Buchveröffentlichung im Jahr: Die Autobiografie von Riccardo Goruppi in Deutsch

Der mit der Gedenkstätte eng verbundene Riccardo Goruppi hat im April 2018 unter dem Titel „Partisan und Deportierter“ seine ursprünglich in Slowenisch, seiner Muttersprache, geschriebene und ins Italienische übersetze Autobiografie veröffentlicht. Unser Mitglied Cornelius Renkl übersetzte den Text ins Deutsche, sodass wir zwei Jahre später, im April 2020, eine deutsche Ausgabe veröffentlichen konnten. Zu dieser Zeit war schon eine öffentliche Präsentation, möglicherweise auch in Anwesenheit von Autor und Übersetzer wegen Corona nicht mehr möglich. Die Werbung beschränkte sich auf einen Zeitungsartikel in der LKZ, auf eine Vorstellung des Buches im Rundbrief, wie auf der Homepage, jedoch ohne großen Erfolg. Wir konnten die gedruckten Exemplare noch nicht einmal in unserem Raum im Samariterstift deponieren. Dort wütete bereits die Pandemie. Die Bücher liegen noch im Wohnzimmer des stellvertretenden Vorsitzenden.

 Das für das Jahr 2020 geplante Erscheinen eines von Eberhard Röhm angekündigten Buches über „Die Holländer in der Kaserne“ wurde in das Jahr 2021 verschoben Es wurden weitere Briefe und Dokumente der ehemaligen Zwangsarbeiter bei Angehörigen entdeckt, die eine Verschiebung ratsam sein ließen. Das Buch erscheint im Herbst 2021.

3.Leitfaden zum Besuch der Dokumentation im alten Autobahntunnel in Englisch

Ebenfalls 2020 erschienen ist ein von Holger Korsten vorbereiteter und vom Gestaltungsbüro Braun Engels, den Entwerfern der Tunnelausstellung, in origineller Weise gestalteter Leitfaden für die Hand von Besuchern, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind.

 4.Nachdruck von Band I der Biografien Leonberger KZ-Häftlinge „Aus vielen Ländern Europas“

Das 2008 erschienene Buch „Aus vielen Ländern Europas“ mit 26 Einzelbiografien von Leonbergern KZ-Häftlingen, an dem 12 Autoren beteiligt waren, darunter acht Mitglieder der Initiative, wurde in einer überarbeiteten Fassung nachgedruckt. Abgesehen von kleinen Korrekturen wurde in den Texten jeweils nachgetragen, wenn der betreffende ehemalige Häftling inzwischen verstorben ist.


5.Nachkommenprojekt

Die Übersetzungen der im letzten Rechenschaftsbericht beschriebenen, von Stella Drassdo durchgeführten Interviews mit den Nachkommen von vier ehemaligen KZ-Häftlingen wurden abgeschlossen. Die damit verbundene Masterarbeit wird nicht zustande kommen. Marei Drassdo wird die Ergebnisse der Befragungen im Jahr 2021 auf unserer Internetseite veröffentlichen.

6.Geplatzte Ausstellung: „Ausgrenzung, Raub, Vernichtung“

Eine bis ins Detail von Holger Korsten für Oktober zur Aufstellung im Haus der Begegnung geplante Ausstellung „Ausgrenzung, Raub, Vernichtung der Juden in Südwürttemberg“ musste im letzten Augenblick mit einer Vollbremsung wegen der Corona-Bestimmungen abgesagt werden.


7.Zukunftsplanung: Virtueller Rundgang

Auch die KZ-Gedenkstätte war gezwungen sich zu überlegen, inwieweit wir uns auf den Weg der digitalen Zukunft machen wollen und können. Marei Drassdo arbeitete an der Planung eines virtuellen Rundgangs entlang dem „Weg der Erinnerung“. Er soll im Jahr 2021 durch einen Auftrag an ein Profiteam realisiert werden. In der augenblicklichen Situation gewinnt unsere homepage, die regelmäßig von der Vorsitzenden gepflegt wird, Bedeutung und Aufmerksamkeit.

8.Die Tunnelausstellung als Freiluftveranstaltung tritt in den Vordergrund

Sobald dies die Corona-Bestimmungen wieder zuließen, öffneten wir ab den Sommerferien die Tunnel-Ausstellung, und zwar jetzt jeden Sonntag. Wir erweiterten die Öffnungszeit um eine Stunde bis 17 Uhr, fortlaufend bis Ende der Herbstferien. Die Organisation der Aufsicht lag in den Händen von Vorstandsmitglied Holger Rohland.  

Im Vergleich zu sonstigen Jahren fanden bis Ende des Jahres so gut wie keine Führungen mehr statt.

9.Besondere Tätigkeit von Einzelnen

Ingeborg Böhme und Susanne Suby arbeiteten als Zweier-Arbeitskreis-Schule an einem „schüleraktiven“ Konzept für Führungen durch Lotsen im Tunnel und auf dem „Weg der Erinnerung“, das im folgenden Jahr vorgestellt werden soll. 

Eberhard Röhm wurde durch Vermittlung von Manfred Pauschinger von dem ehemaligen SWR-Fernsehredakteur Tilmann Achtnich und dessen Kameramann Joe Stall bei einer individuellen Führung im Tunnel gefilmt, um Schulungsmaterial für Neulotsen zu haben.

Volger Kucher setzte die Arbeit zur Ordnung des Archivs in beschränktem Umfang fort, nachdem diese mehrere Monate wegen Ansteckungsgefahr ruhen musste.

 

  1. Überlegungen für weitere Räume für die Initiative

Die Suche nach weiteren Räumen wurde durch die Vorsitzende fortgesetzt, indem sie Kontakt aufnahm mit einer Projektgruppe „Zukunft der ehemaligen Schuhfabrik“. Eine endgültige Lösung zeichnete sich noch nicht ab.

 

  1. Kontakte mit ehemaligen Häftlingen und deren Angehörigen

Wie jedes Jahr so bekamen auch vor Weihnachten 2019 alle ehemaligen Häftlinge und deren Angehörige vom Vorstand eine Grußkarte, von Irmtraud Klein verschickt, auf die wir in der Regel auch Antwort bekamen. Zwei Todesnachrichten erreichten uns im Jahr 2020: Guiseppe Covachic ist 94jährig am 28. Januar in seiner Heimat in Italien verstorben. Er kam am 29. Juni 1944 von Dachau in das Lager Leonberg und blieb hier bis zum Todesmarsch im April 1944. Justin Sonder, der Sohn von Leo Sonder, einem Leonberger KZ-Häftling, starb am 3. November in seiner Heimatstadt Chemnitz mit 95 Jahren. Justin Sonder hatte engen Kontakt mit unseer Initiative.

12.Öffentlichkeitsarbeit

Es wurden im Jahr 2020 vor jeder der Vortrags- und sonstigen Veranstaltungen die lokal Presse durch Renate Stäbler mit einer Presseinfo informiert und durch Eberhard Röhm in einem Rundmail an den Mailverteiler weiter gegeben. Da nur wenige Veranstaltungen am Anfang des Jahres möglich war, fiel die Öffentlichkeitsarbeit zeitweise in sich zusammen. Erstmals schrieb am Ende des Jahres die Vorsitzende ein Jahresrückblich-Rundbrief-Mail an alle unsere Mitglieder und Interessierten.

 

  1. Spezielle Tätigkeiten des Vorstands sowie Mitgliedschaft in dem „Verbund der Gedenkstätten im ehemaligen KZ-Komplex Natzweiler“ (VGKN)

Die Vorstandsmitglieder haben sich im Jahr 2020 zu fünf Sitzungen zur Beratung und Beschlussfassung getroffen. Ein Treffen wie üblich in unserem Raum im Samariterstift war nur am 22. Januar möglich. Danach blieb der Zugang wegen der im Haus ausgebrochenen Corona-Epidemie für uns unzugänglich. Der Vorstand traf sich darum am 22. Juni und am 21. Juli im Freien vor dem Tunnel auf den dort vorhandenen Hockern. Bei den beiden weiteren Sitzungen am 1. September und 1.. Oktober waren wir Gast im Gemeindehaus der Paulusgemeinde. Die Treffen wurden ergänzt durch zahlreiche Verständigungen über E-Mail, ohne die die Vorstandsarbeit nicht denkbar gewesen wäre.

Der übliche Kontakt auf Landesebene mit der Landeszentrale für Politische Bildung wie mit anderen Gedenkstätten durch die beiden Vorsitzenden war nur eingeschränkt möglich und reduzierte sich auf E-Mail-Verkehr und Telefonate. Die gewohnte Jahrestagung der Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten in Baden und Württemberg (LAG) fiel ebenfalls Corona zum Opfer.

Marei Drassdo war Kontaktfrau zum „Verbund der Gedenkstätten im ehemaligen KZ-Komplex Natzweiler (VGKN)“. Erwähnenswert ist, dass der VGKN zur Zeit eine Datenbank mit den Daten aller 52.000 Natzweiler Häftlinge aufbaut. In diese sind auch die von uns gesammelten Daten von 4000 Häftlingen eingegangen. Von weiteren etwa 1000 Häftlingen, die geschätzt in Leonberg waren, fehlen uns die Namen.   

 

  1. Kontinuierliche Bildungsarbeit (Statistik)

Es fanden im Kalenderjahr 2020 statt

- 19 (Vorjahr: 32) Führungen auf dem Weg der Erinnerung, davon 11 (Vorjahr: 26) mit Schulklassen und sonstigen Jugendlichen mit insgesamt 246 (Vorjahr: 486) Schülern/Jugendlichen inklusive Lehrern und 150 Erwachsenen (Vorjahr: 177), d.h. insgesamt 396 Besucher. (Im Vorjahr 44 Führungen mit 1044 Besuchern insgesamt)

An 21 Sonn- und Feiertagen (im Vorjahr an 8 Sonntagen) im Jahr war das Dokumentationszentrum im alten Engelbergtunnel mit der ständigen Ausstellung geöffnet, jetzt nicht nur je zwei, sondern regelmäßig drei Stunden mit insgesamt etwa 651 (Vorjahr: etwa 200) Besuchern,

-  2 BücherCafés (Vorjahr: 7) im Samariterstift jeweils am 1. Sonntag des Monats (02.02., und 01.03.) mit insgesamt etwa 118 (Vorjahr: 300) Besuchern,

- Es fanden keine weiteren Vortrags- und sonstige Veranstaltungen statt. (Im Vorjahr 7 sonstige Veranstaltungen mit etwa 650 Besuchern).

- Eine Studentin der Kommunikationswissenschaften an der Universität Hohenheim wurde von Eberhard Röhm beraten bei der Herstellung eines Kurzfilms zum Thema „KZ Leonberg“, der nur intern im Seminar gezeigt wurde.

 

  1. Gesamtstatistik

Insgesamt erreichten wir im Jahr 2020 mit unseren Führungen und sonstigen Veranstaltungen 1242 (Vorjahr:1994) Personen, davon 246 (Vorjahr: 486) Schüler bzw. Jugendliche und 246 (Vorjahr:1508) Erwachsene. Nicht gezählt sind die an Informationen Interessierten, die täglich die zehn öffentlich zugänglichen Informationstafeln auf dem „Weg der Erinnerung“ lesen. Im Vergleich zum Jahr 2019 sind die Besucherzahlen bei Jugendlichen und bei Führungen von Schulklassen aus bekannten Gründen noch einmal dramatisch zurückgegangen, bei Erwachsenen haben sie zugenommen. Dieser Trend des Rückgangs von Führungen von Schulklassen wurde schon bei der letzten Mitgliederversammlung für das Jahr 2018 festgestellt.

Die dargestellte Arbeit wurde während des Kalenderjahres 2020 von 27 (Vorjahr: 25) ehrenamtlich arbeitenden Personen in grob geschätzt 1079 (Vorjahr: 1600) Stunden geleistet.

 

  1. Förderanträge bei der Landeszentrale für politische Bildung

Der Vorstand hat für das Rechnungsjahr 2020 bei der Landeszentrale für politische Bildung Förderanträge für vier Projekte, die tatsächlich durchgeführt wurden, gestellt:

 

  1. a) Förderung pädagogischer Maßnahmen (Führungen mit Schülern),
  2. b) Zuschuss für den Druck des Buches „Riccardo Goruppi“,
  3. c) Übersetzung von Interviews im Rahmen des Nachkommenprojekts der Studentin Stella Drassdo,
  4. d) Material zur Aus- und Fortbildung von Neulotsen.
  5. e) Leitfaden Tunnel-Ausstellung in englischer Sprache.
  6. f) Papierfahnen für das geplante Jubiläum.
  7. e) Hinzu kam noch die nicht an ein bestimmtes Projekt gebundene Basisförderung als mittelgroße Gedenkstätte.

Insgesamt betrug die Förderung durch die Landeszentrale für politische Bildung aus Landesmitteln im Jahr 2020 15.400 EUR (Vorjahr:15170,00 EUR).

Beantragte und zugesagte Förderung für das Jahr 2020 für drei Projekte (Buch „Holländer in der Kaserne“, Nachdruck der Broschüre „Der Engelbergtunnel von 1934 bis heute“, Rollups für das Jubiläum) wurde nicht in Anspruch genommen, da die Projekte verschoben wurden.

 

  1. Wahl des Vorstands und Mitgliederzahl bei der Mitgliederversammlung am 27. Februar 2020

Am 27. Februar 2020 fand die Jahresmitgliederversammlung im Samariterstift statt, bei der vom bisherigen Vorstand wiedergewählt wurden: Marei Drassdo zur Vorsitzenden, Eberhard Röhm zum stellvertretenden Vorsitzenden. Als Beisitzer wurden wiedergewählt: Katharina Fuchs, Irmtraud Klein, Holger Korsten, Martin Riethmüller (vom Vorstand zum Kassier gewählt) und Holger Rohland, Nicht mehr angetreten war Armin Schmidt. Neu als Vorstandsmitglied gewählt wurde Joachim Schütz. Als Kassenprüfer wurden gewählt: Heinz Klingel und Manfred Pauschinger.

Zum Zeitpunkt der Mitgliederversammlung (27.2.2020) betrug die Zahl der Mitglieder: 98 plus drei korporative Mitglieder. (Mitgliederstand Ende 2019: 84).

  1. Juli 2021

Für den Vorstand:

Marei Drassdo, Vorsitzende                                 Eberhard Röhm, Stellv. Vorsitzender

 

 

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